Henkerin
Bruce’ Seite zu stehen. Es galt, das Lied des Stärkeren zu singen, und der Stärkere war nun mal er, Ottmar de Bruce, Burggraf der Adlerburg. Trotzdem musste man seine Untergebenen manchmal ein wenig bauchpinseln. De Bruce gab seiner Stimme einen warmen Unterton. »Ich verlasse mich auf Euch, Eberhard von Säckingen. Die Angelegenheit ist äußerst wichtig, darüber seid Ihr Euch ja wohl im Klaren.«
»Mein Mann ist absolut zuverlässig. Der Plan ist einfach. Die Falle ist aufgestellt und mit fettem Speck bestückt. Sie wird noch diese Woche zuschnappen. Alle werden unser kleines Schauspiel glauben. Die Menschen sind ja so einfältig.«
De Bruce kratzte sich am Kinn und nickte. »Das wird ein prächtiges Geschenk zu meiner Vermählung. Dieses erbärmliche Häuflein Dreck wird zu spüren bekommen, was es heißt, einen Ottmar de Bruce zu beleidigen. Was gäbe ich darum, ihn zappeln und wimmern zu sehen.«
Er ging zum Fenster und schaute auf die Mauern, die den Palas umgaben. Am liebsten hätte er sich der Sache selbst angenommen, eigenhändig die glühenden Zangen in das Fleisch seines Opfers geschlagen, ihm die Daumenschrauben angelegt und spitze Eisen in die Gedärme getrieben. Aber er war nicht dumm. Er wusste, wann es klüger war, zu einer List zu greifen, als die offene Auseinandersetzung zu suchen. Aus sicherer Ferne würde er den Untergang seines Widersachers genießen. Und wenn er genau darüber nachdachte, erhöhte es sogar das Vergnügen. Wie Gott würde er über Leben und Tod entscheiden.
Er wandte sich wieder von Säckingen zu. »Es wird aussehen wie Rache?« Von Säckingen schmunzelte. »Es wird ein Schlachtfest werden.«
***
Raimund Magnus atmete schwer. Obwohl eine bleierne Müdigkeit an seinen Gliedern zerrte, gelang es ihm nicht einzuschlafen. Er hörte Melisande im Haus umhergehen, in ihrer Truhe rumoren und mit Stoff rascheln. Später hörte er, wie sie sich erbrach, dann ihren regelmäßigen Atem, als sie endlich eingeschlafen war. Er verfluchte sich dafür, dass er ihr nicht helfen konnte. Sie war all die Jahre so stark gewesen, hatte tapfer alles getan, was ihr neues Leben von ihr verlangte, doch tief im Inneren war sie noch immer das kleine Mädchen, das heimlich durch die Wälder um Esslingen tollte und von dem starken und mutigen Ritter Gawan träumte.
Bis Gott ihn ans Lager gefesselt hatte, war Raimund fest davon überzeugt gewesen, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem er Melisande in ihr früheres Leben würde entlassen können. Der Tag, an dem Ottmar de Bruce sterben und sie frei sein würde. Jetzt war er ein Krüppel, von Gott gestraft, und konnte Melisande nicht einmal mehr beschützen. Weder vor Ottmar de Bruce noch vor Konrad Sempach oder irgendwem sonst. Abgesehen davon, dass Melisandes altes Leben in unerreichbare Ferne gerückt war, war er es nun, der auf sie angewiesen war. Dabei brauchte sie ihn offenbar mehr denn je. Auch wenn sie versucht hatte, zuversichtlich zu klingen, war Raimund doch klar, dass der Selbstmord der jungen Magd Melisande in arge Schwierigkeiten bringen konnte. Wenn Sempach sie deswegen vor den Rat zerrte, war es ihm ernst. Melisandes Tarnung war in Gefahr und damit ihr Leben.
Konnte er denn gar nichts tun? Doch, es gab eine Möglichkeit, einen Menschen, der vielleicht helfen konnte. Raimund musste Meister Henrich einweihen. Bisher hatte er immer gezögert, seinen einzigen Freund in die Angelegenheit hineinzuziehen, doch jetzt sah er keinen anderen Ausweg mehr. Er brauchte Henrichs Hilfe. Nicht für sich, für Melisande. Sie musste ihn herbitten, gleich morgen früh, und ihm alles erzählen. Henrich würde für Melisande eine Lösung finden.
Was aus ihm selbst wurde, war unwichtig. Mit ihm ging es ohnehin bald zu Ende, das spürte er. Jeden Tag fühlte er sich ein bisschen schwächer, verließ die Lebenskraft seinen Körper mehr. Das nächste Frühjahr würde er nicht mehr erleben, womöglich nicht einmal den kommenden Herbst. Das war gut so, denn er war Melisande nur noch eine Last, und für ihn selbst war das Leben nichts mehr als eine endlose Qual. Es war Zeit, vor den Herrn zu treten und die Rechnung zu begleichen.
***
Melisande atmete tief ein, als sie über die Schwelle des Schwörhauses trat, das zum Dominikanerkloster gehörte. Von nun an lag ihr Schicksal in Gottes Hand.
Alles war so schnell und überstürzt geschehen, dass ihr gar keine Zeit geblieben war, nachzudenken oder sich einen Plan zurechtzulegen. Das hätte sie am Abend
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