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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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tun müssen, als sie ihre kostbare Zeit damit vertan hatte, in Selbstmitleid und Trauer um ihre verlorene Liebe zu versinken. Das Klopfen des Büttels hatte sie aus einem tiefen, traumlosen Schlaf gerissen. Noch ganz benommen hatte sie sich vom Boden erhoben und war auf die Tür zugetaumelt. Ein scharfer Schmerz in ihrem Schädel hatte sie daran gehindert, klar zu denken, bis ihr Blick auf ihren ausgestreckten Arm fiel, mit dem sie die Tür entriegeln wollte, und sie entsetzt innehielt. Sie trug noch das Frauengewand! Sie rannte in ihre Kammer, fiel fast über einen Stuhl und kleidete sich um, so schnell es eben ging. Dann huschte sie zu Raimund, der den linken Arm hob und sie eindringlich ansah. Er wollte ihr etwas mitteilen, doch sie hatte keine Zeit. Der Büttel wartete schon viel zu lang. Jeden Augenblick würde er sich mit Gewalt Zugang zum Haus verschaffen.
    »Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut«, raunte sie Raimund ins Ohr, dann stürzte sie zur Tür. Mit klopfendem Herzen trat sie hinaus in die Morgendämmerung und folgte dem Büttel durch die noch menschenleeren Gassen von Esslingen. Sie hatte nicht damit gerechnet, so früh vor den Rat gerufen zu werden. Gern hätte sie den Büttel mit Fragen bestürmt, aber als stummer Henker blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm wortlos zu folgen.
    Der Mann hechtete vor ihr die Stufen hinab in den Ratskeller. Was wollte er dort? Der Rat tagte gewöhnlich im großen Saal im oberen Stockwerk. Schon stieß der Büttel eine Tür auf und bedeutete ihr einzutreten. Kaum war sie seiner Anweisung gefolgt, schlug der Mann die Tür hinter ihr zu, ohne zu folgen.
    Unsicher sah Melisande sich um. Der Ratskeller war dämmrig, und es dauerte eine Weile, bis ihre Augen sich an das schlechte Licht gewöhnt hatten. Erstaunt stellte sie fest, dass sich außer ihr nur ein Mann im Raum befand: Konrad Sempach.
    »Du weißt, dass du in großen Schwierigkeiten steckst, Melchior?«
    Melisande nickte.
    »Ich finde das sehr bedauerlich.« Sempach trat näher und beäugte sie von oben bis unten. »Obwohl du ein stummer Hänfling bist, hast du bisher hervorragende Arbeit geleistet. Dein Onkel, Raimund Magnus, hat nicht zu viel versprochen, als er sagte, dass er einen guten Henker aus dir machen würde. Ich schätze deine Arbeit.« Er trat noch näher. Melisande konnte riechen, dass er bereits zu dieser frühen Stunde ordentlich dem Wein zugesprochen hatte. »Und ich würde dich gern weiter in den Diensten der Stadt sehen.« Er streckte den Rücken durch. »Deshalb habe ich beschlossen, beim Rat ein gutes Wort für dich einzulegen.«
    Melisande schluckte. Sie wusste nicht, wie sie auf Sempachs Worte reagieren sollte, denn sie ahnte, dass es für Dankesbekundungen noch zu früh war.
    Er schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Natürlich erwarte ich, dass du mir in angemessener Form deine Dankbarkeit zeigst«, sagte er, beugte sich vor und sah ihr tief in die Augen.
    Hastig nickte sie.
    »Sehr gut«, murmelte er, »sehr gut.« Er fing an, im Keller auf und ab zu gehen. »Sicherlich fragst du dich, wie du dich für meine Fürsprache erkenntlich zeigen kannst. Nichts leichter als das. Du hast die Aufsicht über das städtische Frauenhaus. Das trifft sich gut, denn ich bin ein Mann mit einem ganz besonderen Geschmack, was das schwache Geschlecht angeht.« Er sah zu ihr herüber, als wolle er herausfinden, ob sie schon wusste, worauf er hinauswollte.
    Sie versuchte, seinem Blick standzuhalten. Konnte es sein, dass sie so einfach davonkam? Dass sie ihm nur eine ganz besondere Hure besorgen musste? War es nur das?
    »Ich mag es gern ein bisschen härter, falls du verstehst, was ich meine.« Er grinste und leckte sich die Lippen. »Ja, ich glaube, du verstehst mich sehr gut. Dir macht es doch ebenso viel Spaß, sie schreien und wimmern zu hören, ist es nicht so?«
    Als Sempach sie erwartungsvoll ansah, nickte sie wieder. Am liebsten hätte sie ihm vor die Füße gespuckt, aber sie biss sich auf die Zunge. Glaubte er tatsächlich, dass es ihr Spaß machte, anderen Menschen Leid zuzufügen?
    »Ich möchte, dass du mir eine ins Haus bringen lässt. Sie soll noch jung sein, am besten unberührt. Wenn ich dir Bescheid gebe, kannst du sie abholen und irgendwo verschwinden lassen. Das, was von ihr übrig ist, meine ich.« Sein Lachen hallte von den Wänden wider. »Jedenfalls soll niemand dumme Fragen stellen, wenn sie weg ist. Hast du verstanden?«
    Melisande neigte den Kopf, damit Sempach ihr Gesicht

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