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Hera Lind

Hera Lind

Titel: Hera Lind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Männer sind wie Schuhe
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möglichen Schattierungen darin spiegelte! Das konnte mit jedem Südsee-Panorama mithalten. Ich hatte mich unsterblich in diesen Landstrich verliebt, und die neu gewonnene Freiheit schmeckte wunderbar. Ich hatte alles verloren, was mir früher einmal wichtig gewesen war: Meine Musikschule. Meinen Ruf. Die Doppelhaushälfte im Borkenkäferweg. Ich hatte geglaubt, nicht ohne leben zu können, aber das stimmte gar nicht. Ich atmete tief ein, und auf einmal überkam mich ein inniges Glücksgefühl. Ich war genau dort, wo ich sein wollte. Die Hütte am Wolfgangsee war meine Ruheinsel. Wenn auch leider keine Insel des Vergessens. Christians Taschenmes ser hatte noch auf dem Tisch gelegen, als wir einen Tag nach dem Tischtennisturnier wieder hergekommen waren! Mit Sophies Firmenwagen, der noch nach Christian gerochen hatte. Christian war am selben Morgen mit der ersten Maschine nach Chicago geflogen. Ich hatte ihn nie wieder gesehen. Auf dieser Fahrt hatte ich so viel geweint, dass meine Tränen für immer versiegt waren. Einerseits war da diese Trauer und Leere in mir, andererseits empfand ich Dankbarkeit. Denn ich hatte meine Freiheit. Und meine Kinder. Und ich war am schönsten Fleck der Welt. Alles andere würde sich finden.
    Inzwischen war es Hochsommer. Ich lag mit den Zwillingen in der Hängematte und las ihnen die Geschichte vom Aschenputtel vor. Caspar tobte im seichten Wasser mit Paulchen herum. Sie hatten ein Krokodil aufgeblasen. »ROAAAAH«, schrie Paulchen. »Ich krieg dich!« Caspar tauchte unter und kam auf der anderen Seite wieder hoch. Die beiden spritzten und tobten, dass es eine Freude war. Paulchen war gerade erst angekommen. Sein kleiner Körper war noch ziemlich weiß, während wir anderen schon brutzelbraun waren. Wir hatten unseren Pauli gestern am Salzburger Flughafen in Empfang genommen, und mein fast Neunjähriger hatte sich an mich geklammert wie ein Äffchen. Ich hatte ihn zum Auto tragen müssen! Caspar war ausnahmsweise mal nicht hilfsbereit herbeigesprungen. Er hatte nämlich einem glatzköpfigen Steward nachgeschaut, dessen glatt rasierter Schädel ausgesehen hatte wie ein hart gekochtes Ei. Dabei war die blonde Stewardess, die auch dabei gewesen war, viel hübscher gewesen! Mit Jürgen hatte ich nur kurz ein paar verlegene Worte gewechselt. Er war gleich wieder zurückgeflogen. Und das war auch gut so.
    Wir hatten uns hier häuslich eingerichtet, waren viel gewandert und hatten träumend im Gras gelegen. Caspars Verletzungen waren verheilt, und er genoss es hier ebenfalls.
    »Das Salzkammergut ist echt besser als Heilewelt!«, hatte er gesagt. »Wenn es hier nur ein paar Schwule gäbe!«
    Ich wollte bloß nicht an den Tag denken, an dem hier die Blätter von den Bäumen fallen und die Ferienhäuser ihre dun kelgrünen Fensterläden schließen würden. An dem hier der erste Schnee fiele. Ich hatte keine Ahnung, wohin wir dann gehen sollten. Irgendwann würde ich mit den Kindern in eine geheizte Behausung ausweichen müssen. Und wenn ich Klavierstunden gab, putzen ging oder im Gefängnis von Salzburg einen Gefangenenchor gründete: Ich würde es schaffen! Jürgen ging davon aus, dass wir zum Schulbeginn zurückkommen würden. »Mit deinen Schulden bei der Sparkasse und ohne eigenes Einkommen schaffst du es sowieso nicht«, hatte er bei seiner Stippvisite gesagt und dabei so mitleidig gelächelt, als hätte er soeben im Schach gewonnen. »Ich weiß, dass du spätestens im September wieder im Borkenkäferweg vor der Tür stehst. Dann müssen die Zwillinge schließlich auch in die Schule.«
    Aber noch war der Sommer nicht vorbei. Der zweite Ferientag war gerade erst angebrochen. Außerdem war Jürgen in guten Händen: Brunhilde Zweifel wohnte inzwischen in unserem Haus im Borkenkäferweg. Schon während meines angeblichen Seminars damals hatte sie Jürgen angeboten, ihn mit den Trauergästen zu unterstützen. Und nachdem die Musikschule hatte schließen müssen und meine Mutter auch nicht jünger wurde, war sie einfach als Haushälterin geblieben. Sie war jetzt die Grande Dame des Hauses, umsorgte Jürgen und seinen Vater, ging mit Leffers Gassi und erklärte jedem, der es hören wollte, wie sich alles wirklich zugetragen hatte. Sie war ja von Anfang an dabei gewesen und kannte jedes Detail! Ihr Bekanntheitsgrad in Heilewelt war um dreihundert Prozent gestiegen. »Herr Immekeppel zahlt mir dasselbe Gehalt, das ich in der Musikschule verdient habe«, posaunte sie überall herum. »Es ist eine

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