Hera Lind
rein berufliche Verbindung.« Dabei fand ich, dass die beiden eigentlich ganz gut zusammenpassten. Während ich darüber nachsann, kam Caspar aus dem Wasser. Sein Deutsch war inzwischen exzellent. »Du hast uns doch versprochen, dass wir einmal nach Salzburg fahren, wenn Paulchen da ist …«
»Habt ihr dazu wirklich Lust?«, fragte ich die Kinder. »Die Stadt ist vollkommen überfüllt, die Festspiele haben schon angefangen. Wollt ihr euch wirklich durch das Gewühl schieben? Bei der Affenhitze?!«
»Oh ja, bitte, Mamaaaaa!« Die Zwillinge hüpften auf und ab. »Du hast gesagt, du zeigst uns die Festung, auf die man mit der Zahnradbahn fahren kann. Und den Zauberflötenspielplatz mit dem Tanzglockenspiel!«
Ich hatte ihnen von dem Spielplatz im Mirabellgarten erzählt, wo man auf einem Xylofon Melodien nachhüpfen kann. Mir wurde ganz wehmütig ums Herz: Christian und ich hatten darauf »Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich« gespielt.
»Ich will in Mozarts Geburtshaus!«, sagte Paulchen.
»Und wir wollen ins Tomaselli, eine Mehlspeise essen!«, bettelte Luna.
»Und Kutsche fahren, oh bitte, Mama!«
Ich seufzte. »Aber hier haben wir unsere himmlische Ruhe!« Ich war noch nicht so weit, wieder unter Leute zu gehen. Nach wie vor glaubte ich, die verächtlichen Blicke meiner Mitmenschen zu spüren.
»Die haben wir seit fünf Monaten«, sagte Caspar grinsend. »Und nachdem es hier keinen einzigen Schwulen gibt …«
Also gut. Ich ließ mich breitschlagen. Wir konnten hier ja schlecht zu weltfremden Einsiedlern werden. Am späten Nachmittag schlenderten wir tatsächlich durch Salzburg. Ich hatte einen Parkplatz in der Tiefgarage unter dem Festspielhaus bekommen. Der modrige Geruch rief Erinnerungen wach, und ich musste mit den Tränen kämpfen. Aber dann traten wir in den Sonnenschein hinaus. Wo im Februar vereinzelte Passanten mit hochgeschlagenen Mantelkrägen und Schirmen zwischen Schneeresten und Eispfützen herumgestapft waren, zogen nun Heerscharen von Touristen Eis schleckend durch die Gassen. Vor dem Tomaselli hatten sich Gauk ler postiert. Ein silberner Mozart mit Puderperücke saß auf dem Alten Markt quasi in der Luft und ließ sich für dieses Wunder Münzen in seine Silberschale werfen. Noch mehr staunendes Publikum zog ein Marionettenspieler an, dessen Puppe mit fliegenden Händen auf einen Pappmascheeflügel eindrosch, während aus einem Kassettenrekorder virtuose Klänge ertönten. Jedes Mal, wenn eine Münze in seinen Hut fiel, bedankte sich der Pianist, wobei das Klavier von selbst weiterspielte. Die Kinder waren verzückt, und selbst die Erwachsenen strahlten. Die Terrasse des Tomaselli bog sich vor Cafébesuchern. Eine Kuchenmamsell in gestärkter Rüschenschürze eilte mit einem Tablett voller köstlicher Mehlspeisen von Tisch zu Tisch. Wir hatten keine Chance, dort einen Platz zu ergattern.
Ich dachte an den kalten Februartag mit Christian zurück: Hier hatten wir gesessen! Mein Gefühl, beobachtet zu werden, hatte mich damals übrigens nicht getrogen: Inzwischen wusste ich, dass es ein von Jürgen engagierter Detektiv gewesen war. Sein Honorar hatte Jürgen auch noch zu meinen Schulden hinzuaddiert. Ich musste beinahe lachen: Liebe sah anders aus, so viel war mir inzwischen klar.
Die Kinder zerrten mich weiter, Caspar schaute hübschen Kerlen hinterher, und ich bestaunte die tollen Abendroben der Damen, die heute Abend zu den Festspielen gehen würden. Eine Menschentraube bildete sich, als Anna Netrebko auf dem Fahrrad vorbeifuhr! Oh, wie traumhaft sah sie aus in ihrem wehenden Sommerkleid! Sie strahlte glücklich in die Menge.
»Sie singt heute Abend ›Les nuits d’été‹ von Berlioz«, hörte ich jemanden sagen.
Eine Gänsehaut überzog mich. Das war ein herrlicher Liederzyklus! Doch die Schwarzmarktpreise fingen bei tausend Euro an, das sah ich auf den Pappschildern, die Interessenten an den Eingängen des Festspielhauses hochhielten. Auf einem stand sogar: »Suche Karte. Zahle alles.«
Ja, das hätte ich auch gern getan. In einem anderen Leben. Knapp über tausend Euro hatte ich gerade mal pro Monat, und auch das nicht mehr lange. Meine letzten Ersparnisse schwanden dahin. Trotzdem: Ich war dem Schicksal dankbar für jeden einzelnen Tag, den ich hier verbringen durfte. Hier gehörte ich hin, das spürte ich.
Überall hingen riesige Plakate. Aber zum Glück keine von einer obdachlosen Frau mit ihren frierenden Töchtern, die mir die Schuld an ihrem Schicksal gab.
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