Herbst - Ausklang (German Edition)
Arsch.«
»Verdammt«, flüsterte Hollis und zwang sich zu einem Grinsen. »Die Dinge müssen echt übel stehen, wenn selbst du erkennst, dass wir im Arsch sind.«
»Ich bin bloß realistisch.«
»Realistisch!«, protestierte Harte. »Herrgott noch mal, Lorna, wir haben drei Monate damit verbracht, die wandelnden Toten zu meiden, uns in einer Burg und einem Hotel versteckt, und du entscheidest, dass ausgerechnet heute der Tag ist, an dem du anfängst, von realistisch zu sprechen!«
»Er hat recht«, fand Kieran.
»Aber wir können Hollis nicht einfach zurücklassen ...«
»Doch, könnt ihr«, ergriff Hollis das Wort. »Geht, Lorna. Verschwindet von hier.«
»Nein ...«
Es gelang Hollis, den Kopf leicht zu heben und Harte anzusehen, der seinem Freund zunickte.
»Komm«, sagte Harte und zog Lorna behutsam hoch. Sie schüttelte ihn ab, wollte sich wenigstens noch von Hollis verabschieden, doch dann erkannte sie, dass es zu spät dafür war. Sie hatte genug Tod gesehen, um zu wissen, dass aus seinen erschöpften, glasigen Augen kein Leben mehr sprach.
Harte spähte um den Müllwagen. Mittlerweile war die Zahl der Leichen beträchtlich und unabschätzbar angeschwollen. Die Masse der Toten schleppte sich immer noch die Straße hinab auf das Feuer zu, ein unaufhaltsamer brauner Fluss der Verwesung. Von Jas fehlte jede Spur – er war längst von dem Strom verschluckt worden. Der Großteil der Leichen schien aus der Richtung des Bahnhofs zu kommen, und die Straße zum Parkhaus präsentierte sich noch vergleichsweise frei.
»Was meinst du?«, fragte Howard.
»Wir rennen zum Parkhaus«, gab Harte zurück. »Das ist unsere einzige Möglichkeit. Wir müssen da hoch und hoffen, dass Richard auftaucht, bevor die ganze verfluchte Ortschaft niederbrennt.«
Sie sammelten sich und bereiteten sich darauf vor, loszulaufen.
»Wartet«, sagte Caron und sah sich um. »Wo ist Michael?«
59
Michael wartete am Eingang des Parkhauses auf die anderen.
»Wo zur Hölle bist du gewesen?«, fragte Kieran.
Michael antwortete mit einer Gegenfrage. »Wer fehlt?«
»Hollis ist tot«, gab Lorna zurück. »Erschossen.«
»Und Jas?«
»Vermutlich auch tot. Wir haben ihn inmitten all der Leichen aus den Augen verloren.«
Michael nickte.
»Hattest du etwas damit zu tun?«, fragte Howard. »Was hast du gemacht?«
»Wisst ihr, es ist nicht bloß um ihn gegangen«, erwiderte Michael. »Ich habe nur den Bahnhof geöffnet. Als ich das erste Mal dort war, habe ich darin Hunderte von denen gesehen. Ich dachte, ich sollte sie rauslassen, bevor wir verschwinden.«
» Falls wir verschwinden«, gab Kieran zu bedenken.
»Ich wollte eurem Freund Jas nur einen Eindruck davon vermitteln, was ihn erwartet, wenn er hier bleibt.«
Lorna schüttelte den Kopf und trat den Weg nach oben an. Sie war nicht sicher, ob sie Michael glaubte. Gedankenverloren ergriff sie Carons Hand und führte sie die wendeltreppenartige Straße hinauf. Was sie tun wollten, wenn sie das Dach erreichten, wusste sie nicht.
Sie kletterten über einen pflaumenvioletten Mini, der gegen ein Hindernis gekracht war, dann hielten sie auf der dritten von fünf Parkebenen inne, um auf die Straßen hinabzublicken. Das Feuer breitete sich stetig aus. Ein Gebäude nach dem anderen wurde von Hitze und Licht erfasst. Dennoch wirkte die Lage von hier oben nicht so schlimm wie unten auf Bodenhöhe. Das Feuer war nicht so weit vorangeschritten, wie sie befürchtet hatten. Michael verspürte Erleichterung. Ihnen blieben einige Stunden, bevor sie weiterziehen mussten.
Howard spähte über den Rand und schaute hinunter. Er konnte den Bahnhof erkennen, den Michael geöffnet hatte. Immer noch strömte daraus eine dicke Kolonne von Leichen hervor und steuerte auf die rot glühende Zerstörung in der Ferne zu.
Dann vermeinte er, flüchtig Jas zu erhaschen, der immer noch inmitten des Chaos kämpfte. Sicher konnte man aus dieser Höhe unmöglich sein, dafür waren die Massen der Toten auf der Straße vor dem Parkhaus zu dicht. War er es wirklich gewesen, oder hatte es sich bloß um Leichen gehandelt, die aufeinander reagierten?
In der Ferne konnte Kieran sehen, wie die am weitesten vorgerückten Leichen verbrannten, und er beobachtete es mit einer unerwarteten Mischung von Emotionen, vorwiegend jedoch mit Erleichterung darüber, dass sich die Zeit der Toten letztlich dem Ende zuneigte. Dies waren zweifellos ihre letzten Tage, vielleicht sogar ihre letzten Stunden. Außerdem verspürte er
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