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Herbst - Beginn

Herbst - Beginn

Titel: Herbst - Beginn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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in der Ecke eine Weile an, ehe er mit den Schultern zuckte, aufstand und in die entgegengesetzte Richtung davonging.
    »Die ganze verdammte Welt fällt auseinander«, meinte Michael leise, während er das Geschehen beobachtete.
    »Was soll das heißen, sie fällt auseinander?«, fragte Emma im Flüsterton. »Das ist bereits geschehen. Es ist nichts mehr übrig. Das war‘s.«
    Michael schaute auf, betrachtete seine kalte, graue Umgebung und musterte jeden der eher an leere Hüllen erinnernden Menschen im Saal. Emma hatte Recht. Sie hatte schauderhaft Recht.
    6
    Innerlich tot.
    Henshawe saß allein mit dem Kopf in den Händen in einer dunklen Ecke des Lagerraums und weinte um die Frau und die Tochter, die er verloren hatte.
    Was hatte es für einen Sinn weiterzuleben? Wozu sollte es gut sein? Die beiden hatten seinen Lebensinhalt verkörpert. Er war zur Arbeit gegangen, damit er für sie sorgen konnte. Er war abends nach Hause gekommen, um bei ihnen zu sein. Die beiden hatten ihn auf eine Weise für sich vereinnahmt, wie er es nie für möglich gehalten hätte, bevor er Sarah kennen gelernt hatte. Und jetzt waren sie ohne Grund, Vorwarnung oder Erklärung verschwunden. Binnen eines Lidschlags von ihm genommen. Und er war nicht in der Lage gewesen, ihnen zu helfen oder sie festzuhalten. Er war nicht einmal da gewesen, als sie gestorben waren. Als sie ihn am meisten gebraucht hatten, war er meilenweit entfernt gewesen.
    Draußen im Hauptsaal hörte er das Stöhnen und Weinen anderer, die alles verloren hatten. Er roch und schmeckte die Wut, die Frustration und die völlige Verwirrung der anderen Überlebenden – all das hing wie der Gestank verwesenden Fleisches in der kalten, trüben Luft. Er hörte Streit, Diskussionen und Geschrei – Ausdruck des rohen Schmerzes, der jeden Einzelnen der völlig verschiedenen, verzweifelten Menschen zerriss.
    Als der Lärm unerträglich wurde, rappelte er sich in der Absicht auf, das Gebäude zu verlassen. Er wollte sich gerade dazu aufraffen, das Gemeindezentrum und den Rest der Überlebenden hinter sich zu lassen, als sich sein Verstand mit den Bildern von Millionen lebloser Körper füllte, die auf den Straßen ringsum verstreut lagen. Schlagartig wurde ihm klar, dass er nicht gehen konnte. Das Tageslicht schwand bereits. Der Abend war fast angebrochen. Der Gedanke, sich draußen aufzuhalten, schien an sich schon grauenhaft genug, doch noch dazu in der Dunkelheit alleine und ziellos umherzuwandern, war zu viel, um es auch nur in Erwägung zu ziehen.
    Er lehnte sich gegen die Lagerraumtür und spähte hinaus in den Hauptsaal. Das grelle, orange Licht des Sonnenuntergangs strömte von über seinem Kopf in das Gebäude und tünchte alles in schillernde, beinah fluoreszierende Farben. Neugierig, woher das Licht stammte, ging er ein paar Schritte aus dem Raum und drehte sich um. Im Schrägdach unmittelbar über der Tür befand sich ein schmales Dachfenster. Der Lagerraum, in dem er sich versteckt hatte, war als Erweiterung an das ursprüngliche Haus angebaut worden, und bei seinem Eintreffen war ihm aufgefallen, dass sich darüber ein Flachdach befand. Henshawe spürte eine Rückzugsmöglichkeit, stieg auf einen Holztisch und streckte sich, um das Dachfenster zu öffnen. Dann hievte er sich hindurch und kletterte auf das Asphaltdach.
    Der kälteste Wind, den er je gespürt hatte, rüttelte an ihm und blies ihm entgegen, während er ungeschützt auf dem kaum etwa acht Quadratmeter großen Dach stand. Vom äußersten Rand aus konnte er über die Hauptstraße hinweg nach Northwich und in die tote Stadt dahinter sehen. Nur durch Augenbewegungen folgte er dem Verlauf der Straße, die nach links abzweigte und sich Richtung Hadley erstreckte, des kleinen Vororts, in dem er gewohnt hatte. Des kleinen Vororts, in dem die Leichen seiner Lebensgefährtin und seines Kindes zusammen im Bett lagen. Vor seinem geistigen Auge sah er sie immer noch, erstarrt und leblos, die makellosen Körper mit dunklem, gerinnendem Blut befleckt, und nun schien der eisige Wind noch kälter zu wehen. Eine Weile spielte er mit dem Gedanken, zu den beiden zurückzufahren. Das Mindeste, was sie verdienten, war ein anständiges Begräbnis und etwas Würde. Der Schmerz, den er in sich spürte, war unerträglich; er sank auf die Knie und umklammerte mit den Händen den Kopf.
    Von seinem Aussichtspunkt aus konnte er unzählige Leichname sehen, und er empfand es als gleichermaßen seltsam und beunruhigend, dass er sich an

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