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Herbst - Beginn

Herbst - Beginn

Titel: Herbst - Beginn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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folgte.
    »Ist dir warm genug?«, erkundigte Michael sich schließlich.
    Emma nickte.
    »Mir geht‘s gut.«
    »Ich bin am Erfrieren. Ich sag dir, hier gibt es Löcher in den Mauern. Heute Morgen bin ich in einer Ecke gestanden und konnte die verfluchten Wände mit bloßen Händen zerlegen! Es bräuchte nicht viel, um diesen Ort zum Einsturz zu bringen.«
    »Das ist ja sehr beruhigend, danke.«
    Rasch verstummte Michael und bedauerte seine unbedachten Worte. Das Letzte, was jemand hören wollte, war, wie verwundbar sie in diesem Gebäude waren. Es mochte schäbig, verwahrlost und zugig sein, aber vorläufig stellte es alles dar, was sie hatten. In der Umgebung warteten unzählige robustere, sicherere Bauwerke, aber aus Angst davor, was draußen sein mochte, wollte niemand auch nur einen einzigen Schritt vor die Tür setzen.
    Michael beobachtete, wie Stuart Jeffries und ein anderer Mann (von dem er glaubte, dass er Carl hieß) sich in der fernen Ecke des Raumes mit einer dritten Gestalt unterhielten, auf die ihm Jeffries‘ Rücken die Sicht blockierte. Jeffries war als Erster im Gemeindezentrum eingetroffen und ließ es sich nicht nehmen, jeden der später Ankommenden darauf hinzuweisen, dass er es gewesen war, der ihren Unterschlupf entdeckt hatte, ganz so, als schuldeten sie ihm Dankbarkeit dafür. In einer Welt, in der Rang und Namen nichts mehr zählten, schien er sich verzweifelt an seinen selbst zuerkannten ›Status‹ zu klammern. Vielleicht fühlte er sich dadurch wichtig. Vielleicht vermittelte es ihm das Gefühl, einen Grund zum Weiterleben zu haben.
    Die Unterhaltung in der Ecke setzte sich fort, und Michael beobachtete sie aufmerksam. An den lauter werdenden Stimmen spürte er, dass die Frustration allmählich an die Oberfläche zu drängen begann. Noch vor fünf Minuten hatten sie leise und unter sich gemurmelt. Mittlerweile konnten alle Anwesenden jedes Wort mithören.
    »Keine Chance, ich gehe nicht raus«, stieß Jeffries mit angespannter, müder Stimme hervor. »Wozu? Was ist da draußen schon?«
    Der in den Schatten verborgene Mann antwortete.
    »Was sollen wir dann tun? Wie lange können wir hier bleiben? Es ist kalt und ungemütlich. Wir haben keine Lebensmittel und sonstigen Vorräte. Wenn wir überleben wollen, müssen wir raus. Außerdem müssen wir in Erfahrung bringen, was geschehen ist. Womöglich kapseln wir uns hier ab, während ein paar Ecken weiter Hilfe bereit steht ...«
    »Wir werden keine Hilfe kriegen«, widersprach Jeffries.
    »Woher weißt du das?«, wollte Carl wissen. Seine Stimme klang ruhig, dennoch schwangen darin eindeutig Verärgerung und Ungeduld mit. »Woher, zum Teufel, willst du wissen, dass uns niemand helfen wird? Das erfahren wir nur, wenn wir rausgehen.«
    »Ich gehe nicht raus.«
    »Ja, das haben wir schon mitbekommen«, seufzte der Mann im Verborgenen. »Du bleibst hier drin, bis du verhungerst ...«
    »Komm mir nicht mit dämlichen Sprüchen«, spie Jeffries ihm entgegen. »Komm mir bloß nicht mit beschissenen, dämlichen Sprüchen.«
    Michael spürte, dass die Spannung in jener Ecke kurz davor stand, in Gewalt auszuarten. Er wusste nicht recht, ob er einschreiten oder sich einfach heraushalten sollte.
    »Mir ist schon klar, worauf du hinauswillst, Stuart«, meinte Carl vorsichtig, »aber wir müssen irgendetwas tun. Wir können nicht ewig hier rumsitzen und abwarten.«
    Jeffries sah aus, als versuchte er krampfhaft, sich eine Erwiderung einfallen zu lassen. Vermutlich hatte er Schwierigkeiten, sein Argument zu begründen. Wie konnten Logik und Ordnung auch in einer so trostlosen und unerklärlichen Lage Anwendung finden? Weil sich ihm die Worte entzogen, um auszudrücken, was er empfand, begann er zu weinen, und der Umstand, dass er außer Stande war, seine Gefühle zurückzuhalten, schien ihn nur noch wütender zu machen. Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen ab und hoffte, dass die anderen sie nicht bemerkt hatten, wusste aber mit Sicherheit, dass es niemandem entgangen war.
    »Ich will einfach nicht da raus«, schrie er endlich die Wahrheit zwischen Schluchzen und Keuchen heraus. »Ich will das alles nicht noch einmal sehen. Ich will hier bleiben.«
    Damit stand er auf und verließ den Saal. Dabei stieß er seinen Stuhl um, der gegen die Heizung polterte. Der plötzliche Lärm ließ alle Anwesenden aufschauen. Sekunden später wurde die wieder eingekehrte Stille erneut erschüttert, als die Toilettentür zugeschlagen wurde. Carl blickte den Mann

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