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Herbst - Beginn

Herbst - Beginn

Titel: Herbst - Beginn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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den Anblick bereits gewöhnte. Bevor all das geschehen war, hatte er ein einziges Mal einen toten Menschen gesehen, was er damals als außergewöhnlich und fremdartig empfand. Er war an der Seite seiner Mutter gewesen, als sie starb. Während das Leben aus ihr entwich, hatte er beobachtet, wie sie sich veränderte. Er hatte mit angesehen, wie ihr Gesicht erbleichte, ihre Züge erstarrten und der letzte Atemzug aus ihrem verbrauchten Körper ausgestoßen wurde. Er hatte bezeugt, wie ihr alter, zerbrechlicher Leib erschlaffte und nutzlos wurde. Gegen Ende ihres Lebens hatte sie die Kraft verlassen, dennoch hatte es nie mehr als einer einzigen Pflegerin bedurft, um ihr zu helfen. Nach ihrem Tod waren zwei Träger notwendig gewesen, um sie vom Bett zu heben und wegzutragen.
    Teile der Stadt brannten in der Ferne. Mächtige, dichte Schwaden schmutzig schwarzen Rauchs trieben von unkontrollierten Feuersbrünsten zum orangefarbenen Himmel empor. Während der Qualm unablässig höher stieg, gingen ihm unzählige Erklärungen darüber durch den Kopf, was die Brände ausgelöst haben mochte – eine gebrochene Gasversorgungsleitung? Oder ein verunglückter Treibstofflaster? Ein Leichnam, der zu nah neben einer Gasflamme zusammengebrochen war? Er wusste, dass selbst der Versuch, einen Grund zu finden, sinnlos war, aber er hatte nichts anderes zu tun. Und zumindest halfen solche Grübeleien, ihn eine Weile von Sarah und Gemma abzulenken.
    Er wollte gerade zurück hineingehen, als eine der Leichen auf der Straße seine Aufmerksamkeit erregte. Weshalb vermochte er nicht zu sagen, denn der Körper wirkte inmitten des Chaos unscheinbar. Es war die Leiche eines Teenagers, der gestürzt und mit dem Schädel auf einem Randstein aufgeprallt war. Sein Hals war unnatürlich verrenkt, sodass der Junge zwar auf der Seite lag, seine glasigen Augen jedoch in den Himmel starrten. Es sah aus, als suchte er dort nach Erklärungen. Carl glaubte fast, er blickte ihn an und forderte von ihm zu erfahren, was geschehen war und weshalb mit ihm. Der arme Bursche wirkte so verängstigt und allein. Carl konnte es nicht ertragen, seine gequälten Züge länger als ein paar Sekunden zu betrachten.
    Er kehrte zurück ins Haus, und plötzlich empfand er den kalten, unbehaglichen Gemeindesaal als den sichersten und wärmsten Ort der Welt.
    7
    Carl begab sich zurück zu den anderen Überlebenden und fand sie in einer Ecke des dunklen Saals in einem groben Kreis versammelt vor. Einige saßen auf Stühlen und Bänken, während andere auf dem harten Linoleumboden kauerten. Die Gruppe scharte sich um eine matt schimmernde Gaslampe, und eine rasche Zählung der Köpfe ergab, dass Carl als Einziger fehlte. Ein paar der verwirrten Seelen schauten zu ihm auf, als er sich näherte.
    Mit einem plötzlichen Gefühl der Verunsicherung, von dem er wusste, dass es unnötig war, setzte er sich an den Rand der Gruppe. Er nahm zwischen zwei Frauen Platz. Obwohl er den Großteil eines Tages im selben Gebäude wie sie festgesessen hatte, kannte er noch nicht einmal ihre Namen. Er wusste über niemanden viel, und ebenso wenig wussten die anderen über ihn. So sehr er ihre Nähe und den Kontakt brauchte, er fand die Distanz zwischen den einzelnen Überlebenden sonderbar angenehm.
    Ein Mann namens Ralph versuchte, sich an die Versammelten zu wenden. Aus seinem Gebaren und der gemessenen, wohlüberlegten Ausdrucksweise, der er sich bediente, schloss Carl, dass er wohl Anwalt gewesen sein musste, bevor die Welt am Morgen des vergangenen Tages auf den Kopf gestellt worden war.
    »Was wir tun müssen«, sagte Ralph deutlich, langsam und mit fast nachdenklicher Besonnenheit, »ist, hier eine Art Ordnung zu schaffen, bevor wir auch nur daran denken, uns draußen umzusehen.«
    »Warum?«, erkundigte sich jemand von der anderen Seite der Gruppe. »Was müssen wir denn in Ordnung bringen?«
    »Wir müssen wissen, wer hier ist und was wir hier zur Verfügung haben. Wir brauchen Lebensmittel und Wasser, Bettzeug und Kleidung. Das Meiste davon sollten wir hier finden. Außerdem müssen wir feststellen, was wir nicht haben, und wir sollten anfangen, darüber nachzudenken, woher wir es bekommen.«
    »Warum?«, unterbrach ihn die Stimme erneut. »Wir wissen doch, dass wir alles, was wir brauchen, draußen finden. Ich finde, wir sollten nicht hier drin unsere Zeit verschwenden. Wir sollten rausgehen und es hinter uns bringen.«
    Ralphs Selbstvertrauen erwies sich als einstudierte Fassade, die beim

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