Herbst - Läuterung
kroch langsam über den Flugplatz. Clare stand oben am Überwachungsturm und beobachtete, wie die Dunkelheit allmählich wich. Draußen sah es stürmisch und kalt aus, doch das Gebäude schirmte sie gut vor der Wucht dem rauen, beinahe winterlichen Klima ab. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie direkt über den Zaun und in die sich dahinter ständig bewegenden Leichenhorden sehen. Als sich das Licht verbesserte, erkannte sie den Leichnam von Kelly Harcourt, der auf dem Rücken im wuchernden Gras lag – nur wenige Meter von den stolpernden Füßen der Toten entfernt.
»Man kann verstehen, warum sie es getan hat, nicht wahr?«, fragte Emma, die hinter ihr stand.
»Obwohl es ein Jammer ist«, antwortete Clare, deren Stimme niedergeschlagen und schwach klang. »Ich mochte sie. Sie war nett, viel netter als Kilgore.«
»Man kann sich nicht einmal im Ansatz ausmalen, was das arme Mädchen durchmachen musste«, meinte Emma traurig. »Man weiß einfach nicht, wie man in der Lage reagieren würde, oder?«
»Das macht einem bewusst, wie viel Glück man hat, nicht wahr?«
»Ich nehme es an.«
»Wir haben doch Glück, oder?«
Emma zuckte die Achseln. Die Frage, die ihr Clare gestellt hatte, war eigenartig. Oberflächlich betrachtet hatten sie durch ihr Überleben, während Millionen gestorben waren, natürlich Glück gehabt. Aber jeden Tag schien das Leben schwerer zu werden Sie konnte nicht anders, als sich Gedanken darüber zu machen, dass es leichter gewesen wäre, am ersten Morgen einfach zusammenzubrechen und zu sterben.
Da sie sich wegen des negativen Gedankens schuldig fühlte, zwang sie sich, Clare eine positive Antwort zu geben. »Selbstverständlich haben wir Glück – hier zu sein und die Möglichkeit zu haben, von all dem hier wegzukommen.«
Clare hörte ihr nicht wirklich zu. Doch sie nickte und sah aufmerksam wieder aus dem Fenster. »Also lassen wir sie jetzt einfach dort zurück?«, überlegte sie laut und starrte auf Harcourts Leichnam am Boden. »Sollten wir sie nicht wegtragen oder ...«
Das unvermittelte Erscheinen von Cooper und Jackie Soames unterbrach die Unterhaltung. Emma drehte sich um. Sie konnte anhand ihrer Mienen erkennen, dass beide alles andere als fröhlich waren.
»Hat irgendjemand Keele gesehen?«, fragte Soames und sah sich hoffnungsvoll im Zimmer um. Ihr ohnehin rotes Gesicht schien noch röter und aufgeschwemmter als üblich zu sein.
Clare schüttelte den Kopf.
»Ich habe ihn vorhin gesehen«, meldete sich Emma.
»Wissen Sie, wo er jetzt ist?«
»Nein, haben Sie versucht ...«
Sie machte sich nicht die Mühe, den Satz zu vollenden. Soames und Cooper hatten sich bereits umgedreht und entfernten sich. Donna erschien in der Türöffnung, versperrte ihnen den Weg, so dass sie erst einmal anhalten mussten.
»Glück gehabt?«, fragte Cooper.
»Bisher noch nicht«, erwiderte sie. »Also ist er nicht hier?«
Cooper schüttelte den Kopf.
»Möglicherweise versteckt er sich irgendwo in den Nebengebäuden«, regte Jackie Soames an. »Wir haben ihn früher schon dort gefunden, diesen feigen Bastard.«
Soames und Cooper hasteten wieder aus dem Raum und ließen Donna alleine an der offenen Tür stehen.
Emma war verwirrt. »Was zum Teufel ist hier los?«
»Gary Keele hat sich aus dem Staub gemacht«, erklärte Donna. »Wir können ihn nicht finden.«
»Warum? Wovor läuft er davon?«
»Cooper will ihn dazu bringen, dass er versucht, das Flugzeug in Bewegung zu bringen.«
»Und?«
»Und das war’s. Er sagt, dass er das nicht kann. Anscheinend hat er ein Problem mit den Nerven.«
»Haben wir das nicht alle?«
Donna lächelte. »Ich hasse Typen wie ihn, ehrlich. Die reden nur groß herum und tun nichts. Anscheinend hat er die letzten Wochen damit verbracht, vor einigen von diesem Haufen hier große Töne zu spucken, dass er der große Held sei, und sie alle in Sicherheit fliegen wird. Und wenn es dann hart auf hart kommt, hat er keinen Mumm mehr.«
»Aber er kann den Flugplatz nicht verlassen haben, oder?«
»Nicht, ohne sich auseinanderreißen zu lassen oder ein paar Tausend Leichen hier hereinzulassen.«
»Was passiert, wenn Sie ihn nicht dazu bringen können, das Flugzeug zu fliegen?«, wollte Clare wissen. Die Frage war vernünftig und lag auf der Hand.
»Dann nehme ich an, dass wir versuchen müssen, mit dem Helikopter auf die Insel zu kommen. Lawrence dürfte letztendlich eine Menge mehr Flüge machen und den Anteil an Gepäck beschränken. Wir werden trotzdem
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