Herbst - Stadt
ein.
»Sind Sie schon weiter damit gekommen, herauszufinden, was passiert ist?«, fragte Yvonne naiv, als sie sich umdrehte, um wieder zum Fenster hinauszublicken.
Croft schüttelte seinen Kopf und blickte zur Seite, während er versuchte, seine plötzliche Frustration und Verärgerung zu verbergen. Warum setzte jeder voraus, dass er, nur weil er ein Arzt war, auf irgendeine Art und Weise in der Lage sein würde, einen Grund und eine Erklärung für ihre unbegreifliche Situation zu finden? Herrgott, es war noch niemals zuvor jemand über etwas Ähnliches wie dieses Virus oder diese Krankheit oder was auch immer es gewesen war, das so viele Leute in so kurzer Zeit getötet hatte, gestolpert. Und seines Wissens war noch nie jemand nach zwei Tagen, in denen er sich weder bewegt noch geatmet hatte, wieder auferstanden. Noch nie zuvor war etwas Vergleichbares geschehen, also wusste er klarerweise nicht, wodurch, zum Teufel, es verursacht worden war.
Sein plötzlicher Zorn wallte hoch und er zwang sich selbst, sich auf die Zunge zu beißen und ruhig zu bleiben, da er kurz vor einem Ausbruch stand. Im Inneren wollte er Yvonne anbrüllen und ihr vorschlagen, sie könne gerne gehen und die Antworten auf ihre Fragen in einem verdammten medizinischen Lexikon nachschlagen, doch er wusste, dass es nichts weiter bewirken würde, als eine ohnehin schon unerträgliche Situation noch angespannter und verstockter zu machen. Er holte tief Luft und sog den Rauch mit einem weiteren Lungenzug ein. Sie wollte ihn nicht auf den Arm nehmen. Er erinnerte sich im Stillen daran, dass sie selbst auch nur versuchte, wie jeder andere mit dem Ganzen fertigzuwerden.
»Sie haben nach Sonya gesehen?«, fragte Sunita.
Er nickte.
»Ist sie in Ordnung?«
»Ihr geht’s gut. Sie schläft.«
»Glückliches Mädel«, murmelte Yvonne. »Ich habe seit Tagen nicht mehr anständig geschlafen.«
Croft rauchte seine Zigarette aus und warf den glühenden Stummel auf den Boden, bevor er ihn mit dem Fuß austrat. Er legte die Hände an den Kopf. Ohne Strom war es in dem Gebäude ebenso dunkel wie die Nacht außerhalb. Die hellsten Lichter warfen die glühenden Enden von Sunitas und Yvonnes Zigaretten, die sich durch die kalte Luft bewegten. Ausgelaugt schloss der Arzt die Augen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er hatte in den vergangenen paar Stunden einige Male versucht, seinen Kopf vollständig von allen bewussten Gedanken zu leeren und abzuschalten, doch es schien auf keine Weise zu funktionieren. Selbst das kleinste, nichtssagendste Geräusch oder der geringste Gedanke reichte aus, um ihn in Sekundenschnelle zurück in die Wirklichkeit zu schleudern. Und obgleich er einer unter nur einer Handvoll Leuten war, die überlebt hatten, schienen die Wirren und die Verstörung gleich bleibend und endlos zu sein.
»Haben Sie diesen kleinen Burschen gesehen, der am Morgen angekommen ist?«, fragte Sunita. »Armer kleiner Scheißer. Kann höchstens sechs oder sieben Jahre alt sein. Einer der anderen hat ihn dabei gesehen, wie er die Ringstraße hinunterlief. Er sagte, seine Mum wäre gestorben und er wäre in die Stadt gekommen, um zu versuchen, seinen Dad zu finden. Keiner traute sich, ihm zu sagen, dass der wahrscheinlich auch tot ist ...«
»Wie sollen wir den Kindern das auch erklären?«, seufzte Sunita. »Wenn das, was geschehen ist, für uns selber keinen Sinn ergibt, wie sollen wir ihnen das erst begreiflich machen?«
»Kommt darauf an, wie alt sie sind«, sagte Croft, hob seinen Kopf und sah wieder auf.
»Warum?«
»Weil Kinder in einem gewissen Alter alles akzeptieren, was man ihnen erzählt«, erklärte er. »Ich beneide ein paar von ihnen. Ein zweijähriges Kind wird in dem Glauben aufwachsen, dass es hier schon immer so gewesen wäre, nicht wahr? Verdammter Mist, überlegen Sie doch, um wie viel einfacher die letzten Tage gewesen wären, wenn man nicht Stunden um Stunden damit verbracht hätte, zu versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen? Wenn wir jemanden gehabt hätten, der in der Lage gewesen wäre, uns zu erzählen, was und warum es passiert ist? Selbst wenn es nicht die Wahrheit gewesen wäre, hätten wir einfach damit beginnen können, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, anstatt zu versuchen, es durchzudenken und für uns selbst eine Erklärung zu finden.«
»Aber diese armen Kinder«, nahm Yvonne den Faden wieder auf, »Stellen Sie sich vor, Sie würden auf die Art Ihre Eltern verlieren und auf sich gestellt sein.«
»Wir
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