Herbst - Stadt
Empfindungen der Niederkunft fühlte sie sich überraschend ruhig. Es war genauso, wie es die Hebamme während des pränatalen Kurses vorhergesagt hatte. Obwohl es ein größeres Martyrium war als jeder Schmerz, den sie je zuvor gespürt hatte, fühlte es sich auf irgendeine Weise auch gut an. Es war ein positives Leiden und sie wusste, dass es in Ordnung war. Nichts, was von ihrem Leben übriggeblieben war, ergab außer diesem hier noch Sinn. Ihr Ehemann war von ihr gegangen. Ihre Freunde und die Familie waren tot. Sie hatte ihr Zuhause und alle Besitztümer verloren und es war nichts übriggeblieben außer der kostbaren kleinen Person in ihrem Bauch, die nun geboren werden sollte. Und es fühlte sich so richtig an. Zum ersten Mal, seit der Albtraum begonnen hatte, geschah etwas auf die Art, auf die es zu geschehen hatte.
Eine weitere schneidende Wehe, sie wurde unerträglich. Sonya schrie vor Qual und presste Paulettes Hand so fest zusammen, dass die andere Frau vor Schmerz zusammenzuckte.
»Na komm«, sagte sie besänftigend und bückte sich tiefer, bis ihr Gesicht dicht bei Sonyas war. »Das Baby ist jetzt soweit.«
Fünfundfünfzig Minuten später war der Moment gekommen. Sonyas unfassbarer Schmerz wuchs in einem beinahe unerträglichen Crescendo an und brach dramatisch ab, als ihr Baby nach einem plötzlichen Nachlassen des Drucks, gefolgt von einer Welle der Betriebsamkeit und Emotionen, entbunden wurde. Croft ließ das Kind vorsichtig auf das Bett zwischen die Fußgelenke seiner Mutter gleiten und wischte ihm behutsam Blut und andere Körperflüssigkeiten aus dem Gesicht. Er klemmte die Nabelschnur ab und durchtrennte sie, dann trug er das Neugeborene zum behelfsmäßigen Kinderbett, das sie vorbereitet hatten. Sein Gesicht war der Inbegriff hochgradiger Konzentration, als er die Vitalwerte des Säuglings kontrollierte und angespannt auf dessen Reaktion wartete.
Die Stille war ohrenbetäubend.
»Du hast es hinter dir, Liebling«, flüsterte Paulette und küsste Sonya auf die Spitze ihres schweißtriefenden Kopfes.
Sonya beobachtete mit unerwarteter Nervosität, wie sich Croft an ihrem Kind zu schaffen machte. Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter ihr, als sie gerade erst erfahren hatte, dass sie schwanger war, erzählt hatte, dass dies der schlimmste Teil war – abzuwarten, bis das Baby begriff, dass es geboren worden war und beginnen musste, alleine zu atmen und sich zu bewegen. Sie hatte versucht, sich darauf vorzubereiten, doch es hatte nicht viel gebracht. Jede der langen Sekunden des Schweigens schien Stunden zu dauern.
Dann geschah es. Plötzlich ertönte aus dem Kinderbett ein schriller, durchdringender Schrei voller Überraschung und Begreifen. Croft warf Sonya einen kurzen Blick zu und lächelte.
»Ein makelloses kleines Mädchen«, sagte er. »Gut gemacht.«
Für ein paar glückselige Augenblicke war nichts anderes von Bedeutung. Sonya beobachtete mit Augen, groß wie Untertassen, die vor Freude und Erleichterung mit Tränen gefüllt waren, wie der Arzt ihr kleines Baby in eine weiche Decke hüllte und quer durch den Raum zu ihr trug. Sie setzte sich auf, ignorierte die Schmerzen und die Beschwerden, die sie fühlte, und nahm ihm das kleine Bündel ab. Während sie sich vom Rest der Welt abschottete, starrte sie in ein wunderschönes, verknittertes, blaurot geflecktes Gesicht hinunter. Sie streichelte die Wange des Kindes sanft mit einem Finger und genoss die Wärme, die Bewegung und die Geräusche, die das kleine Mädchen unwissentlich in ihre ansonsten leblose Welt gebracht hatte.
»Wie willst du sie nennen?«, fragte Paulette und lugte über die Schulter der Mutter.
»Keine Ahnung«, gab Sonya leise zurück. »Wir hatten ein paar Namensideen, aber uns noch nicht endgültig für einen davon entschieden.«
»Lass dir Zeit und mach deine Sache gut. Ich habe schon immer gesagt, dass es leichter ist, ihnen Namen zu geben, wenn man erst einmal weiß, wie sie aussehen. Bis dahin kannst du ...«
Paulette hörte plötzlich auf, zu sprechen. Das Baby schrie nicht mehr. Im Raum war es still.
Die drei Erwachsenen im Raum wechselten nervöse Blicke. Beide Frauen sahen Croft um Erklärung heischend an. Als er stumm blieb, blickte Sonya nach unten und drückte sanft die Hand ihrer kleinen Tochter. Nichts. Und dann öffnete das Baby weit den Mund und ließ einen abgehackten, heiseren Schrei ertönen. Der Schrei verwandelte sich in ein hilfloses Prusten. Dann folgte ein Husten. Dann noch eines und
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