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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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aufführt?«
    Er erahnte ein Kopfschütteln, wollte aber um jeden Preis vermeiden, dass sie ihren Kopf von seiner Schulter nahm, und hielt sie sicherheitshalber fest im Arm.
    »Dann muss ich es dir erzählen. Alles andere wäre unfair.«
    Sie richtete sich auf und blickte ihn aus verquollenen Augen an. Er fand sie wunderschön.
    »Was erzählen? Du weißt also, warum sie sich so verrückt aufführt?«
    »Ja, und eigentlich darf ich es niemandem sagen. Ich finde aber, du hast ein Recht darauf, es zu wissen.« Jake machte eine Pause, dann fuhr er fort: »Anne ist … war Sophies beste Freundin und ihr größtes Vorbild. Du weißt, dass sie den Verlust noch nicht verarbeitet hat – sie hockt immer noch viel zu Hause, ist unglücklich und nur darauf aus, von allen gemocht zu werden. Und sie glaubt immer noch daran, dass sie sie eines Tages wiedersehen wird. Ich glaube nicht mehr daran, aber das würde ich Sophie nie sagen. Ich bin so ziemlich der einzige Mensch, mit dem sie darüber reden kann. Sie kommt ständig mit neuen Theorien über ihr Verschwinden an, und bei manchen mache sogar ich mir Sorgen um sie. Ihre fixe Idee, dass Vampire was damit zu tun haben könnten, war da noch nicht mal die seltsamste. Aber es ist die, von der sie zurzeit am meisten besessen ist.«
    Er hielt inne, als müsse er überlegen, wie er fortfahren sollte. Seine Stirn lag in Falten, während das nachdenkliche Sing For Absolution durch den Raum schwebte.
    »Daran ist natürlich mein Opa schuld«, sagte er dann. »Denn anfangs hat Sophie mich immer ausgelacht, wenn ich seine Ideen mal nicht völlig idiotisch fand. Bis er plötzlich, als Anne ungefähr ein halbes Jahr vermisst war, mit Aufzeichnungen über einige Personen ankam, mit denen Anne kurz vor ihrem Verschwinden gesehen worden war. Er hat die Spur dieser Typen durch das ganze Land verfolgt und ist irgendwie an ein Foto aus einem Gefängnis gelangt, in dem drei von ihnen einige Jahre wegen versuchter Entführung einsaßen. Das war vor über dreißig Jahren, aber die Typen waren keinen Tag gealtert!«
    »Das ist merkwürdig«, flüsterte Emily.
    »Allerdings. Seit dieser Entdeckung hält sie es für mehr als möglich, dass Anne von Vampiren verschleppt wurde. Warum oder wohin auch immer. Sie zeigt es nicht und tut nach außen hin immer noch so, als wären mein Opa und ich die totalen Spinner.«
    »Also hat sie gleich ihre Schlüsse aus dem Zeitungsartikel gezogen. Sie denkt wirklich, dass ich ein Vampir bin und irgendwas mit ihrer vermissten Freundin zu tun haben könnte! Das erklärt so einiges …«
    Einige Zeit lang herrschte Stille. Dann räusperte sich Emily. »Kann ich jetzt vielleicht ein Glas Wasser haben? Und den Zeitungsartikel noch mal sehen?«

    Diese Suche hatte ihm bislang kein Glück gebracht.
    Wie so oft an Freitagnachmittagen hatte sich Barnard Graham, Bibliothekar und Vampirjäger aus Leidenschaft, in den Zug nach London gesetzt. Die Hauptstadt diente ihm als Ausgangspunkt für die meisten seiner Untersuchungen und begrüßte ihn auch an diesem Abend mit Nieselregen und Wind. Diesmal wollte er die in Vergessenheit geratene alte Bibliothek in Stevenage im äußersten Norden Londons aufsuchen und eine konzentrierte Leserunde einlegen, um einige Namen und Fakten zu überprüfen. Im Angesicht einer heißen Spur entwickelte selbst eine langweilige Stadt wie Stevenage ihren ganz eigenen Reiz.
    Natürlich war er kein Vampirjäger im klassischen Sinne. Zu seinem Inventar zählten weder Pflöcke noch Kruzifixe, außerdem würde er es niemals mit einem leibhaftigen Vampir aufnehmen können. Nein, Barnard Graham war weniger ein Van Helsing und mehr ein Vampirjäger der investigativen Sorte – eine Art Sherlock Holmes etwa. Seit über zwanzig Jahren durchkämmte er das Land, immer auf der Suche nach merkwürdigen Vorfällen und Beweisen für seine Theorie. Dass in den letzten Jahren selbst Woods End als Vampirnest immer wahrscheinlicher geworden war, stachelte ihn natürlich nur noch mehr an, endlich den ultimativen Beweis für ihre Existenz zu finden.
    Doch die verdammten Blutsauger machten es ihm wirklich schwer.
    Oft schon hatte er geglaubt, kurz vor dem Ziel zu sein, nur um feststellen zu müssen, dass seine Spuren in eine Sackgasse führten, eindeutige Dokumente Fälschungen gewesen waren und seine teilweise jahrhundertealten Bildbeweise allerhöchstens zufällige Ähnlichkeit mit heute lebenden Personen hatten.
    Seinen letzten Fund würde man ihm nicht so schnell vermiesen.

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