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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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allein aufzuwachen.«
    Wortlos umarmte sie ihn. Wieder küssten sie sich.
    Diesmal dauerte der Kuss deutlich länger.

    Nachdem Barnard Graham einen geschäftigen Sonntag mit seinen Unterlagen in der Pension verbracht hatte, die er in dieser Gegend immer als Hauptquartier wählte, machte er sich am nächsten Morgen mit einer Thermoskanne voller Kaffee in die alte Bibliothek auf. Als die Stadt vor einigen Jahren eine neue, zentral gelegene Bücherei bauen ließ, geriet der dunkle, alte Bau am Stadtrand denkbar schnell in Vergessenheit.
    Sehr zu Barnard Grahams Freude war das Gebäude trotz seines zeitgemäßen Konkurrenten immer noch eine Bibliothek – wenn auch eine hoffnungslos veraltete.
    Für den Vampirjäger genau das Richtige.
    Um dem Abriss zu entgehen, hatte der Besitzer, ein ehemaliger Arbeitskollege Grahams, ein Stadtarchiv zwischen den vielen leeren Regalen eingerichtet. Genau deswegen war der Vampirjäger hier.
    Mit geschultem Auge durchstöberte er staubige Regale, wühlte in brüchigen Ordnern und hatte sich noch vor seiner Mittagspause hinter hohen Bücherstapeln verschanzt.
    Nur noch sehr wenige Besucher verirrten sich in diese Räumlichkeiten; meist waren es ältere Herren auf der Suche nach einer Familienchronik oder ähnlich spezielle Geschichtsbegeisterte, die große Freude daran hatten, den Tag in einem zugigen und heruntergekommenen Gebäude zu verbringen. Aus diesem Grund hätte Barnard Graham sofort der Mann auffallen müssen, der am frühen Nachmittag das Gebäude betrat und sich neugierig umsah: Sowohl seine Jugend als auch seine topmoderne Kleidung unterschieden ihn erheblich von den üblichen Gästen.
    Sichtbehindert durch die hohen Schriftstapel um sich herum und vertieft in seine Recherchen, bemerkte er jedoch nicht, wie der Fremde ihn eingehend beobachtete, die Buchrücken im Vorbeigehen aufmerksam studierte und nach einiger Zeit mit einem zufriedenen Lächeln verschwand.
    Am Abend sortierte Barnard Graham die Bücher frustriert an ihren Platz zurück und verließ das Gebäude. Er war keinen Schritt weitergekommen und hatte sich einige Stunden in die Chronik einer alten Adelsfamilie verrannt – nur um am Ende festzustellen, dass sie erst seit gut hundert Jahren in England lebte und keinerlei Auffälligkeiten aufwies.
    Dabei wusste er gar nicht so genau, wonach er suchte. Aus irgendeinem Grund schrieb er dem Mädchen aus dem Zeitungsartikel eine elementare Rolle zu. Wenn er sich nur daran erinnern könnte, an welche Überlieferung oder Legende ihn dieses Mädchen erinnerte! Er würde morgen weitersuchen müssen.
    Unter den wachsamen Augen eines verborgenen Beobachters machte sich der Bibliothekar durch den auffrischenden Herbstwind zum Abendessen auf.

    Noch bevor die Läden öffneten, wurden Emily und Jake vom ersten Bus aus dem Städtchen herausgebracht. Im Bus wurde Emily bewusst, dass sie das erste Mal ohne Eltern oder Vormund einen kleinen Ausflug machte.
    Um sie herum erstreckte sich eine trübe Landschaft, die hartnäckig von Nebel in Beschlag genommen worden war. Es war einer dieser Tage, die überhaupt nicht richtig hell wurden und die Sonne allerhöchstens als blasse Scheibe am Himmel zeigten.
    Die Tour zum Sheltering Tree würde gute drei Stunden dauern, inklusive zweimaligem Umsteigen und einem längeren Fußweg. Für Jake hätte es dennoch keine schönere Beschäftigung an einem Samstag geben können.
    »Was hast du eigentlich gedacht, als du plötzlich ohne Erinnerung in diesem Waisenhaus warst?«
    »Eigentlich gar nichts. Ich bin eines Tages in einem Bett aufgewacht und wusste nicht, wie ich hineingekommen war. Dann merkte ich, dass ich mich überhaupt nicht daran erinnern konnte, jemals irgendwo ins Bett gegangen zu sein. Das war ziemlich beunruhigend.«
    »Konntest du dich denn überhaupt an irgendetwas erinnern?«
    »Ja, das war ja das Seltsame. Ich wusste nicht, wie ich hieß oder wo ich war, aber ich wusste, dass … es klingt vielleicht komisch, aber ich wusste einfach, dass ich ich war. Mir fehlte sozusagen nur die Information, wer dieses Ich war. Ich konnte sprechen, sogar mehrere Fremdsprachen, lesen und wusste über jede Menge komische Dinge Bescheid. Es war ein bisschen wie kurz nach dem Aufwachen. Man weiß, dass etwas passiert ist, kann sich aber nur noch an ein paar sinnlose Einzelheiten erinnern.«
    »Das kenne ich«, sagte er nickend. »Aber wie bist du damit klargekommen, so gut wie nichts über dich zu wissen? Und wie waren die Schwestern zu

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