Herbstfraß
ihres Sohnes hofft. Gehen Sie und finden Sie den Jungen.“
10:26 Uhr
Ich fasse es nicht. Das darf doch echt nicht wahr sein. Trage ich etwa ein Schild mit der Aufschrift: Bitte tritt mich ? Wir waren nach unserem Besuch bei Frau Lüders lediglich rasch in der Apotheke nebenan, um ein rezeptfreies Produkt gegen Erkältung und Halspastillen zu kaufen. Wieso habe ich schon wieder ein Knöllchen unter meinem Scheibenwischer? Ist mir etwa die blöde Pute, diese Kathrin gefolgt? Bo schaut sich das Parkticket, das ich vorhin vorbildlich gezogen habe, genauer an.
„Du Geizkragen hast bloß für eine halbe Stunde gelöst?“
„Ich wette mit dir, dass die dämliche Schnepfe ihre Kollegen auf mich gehetzt hat.“
„Du hättest ja auch ein Ticket für eine volle Stunde ziehen können.“
„Da will man einmal sparen … Louisa kommt übrigens noch mit ihrer Spesenrechnung für gestern Abend. Vor der Rechnung zittere ich bereits jetzt.“
„Ach? Und ich dachte die ganze Zeit, du zitterst, weil du frierst.“ Bo grinst und weicht meinem halbherzigen Schlag gegen seine Schulter aus.
„Die Süße hat sich eine Aufmunterung nach dem Desaster mit ihrem Torben verdient“, erklärt Bo gleich darauf.
„Natürlich hat sie das.“ Ich reiße die Packung mit dem Erkältungsmittel auf und schlucke an Ort und Stelle vier der Kapseln. Trocken würge ich die Dinger runter.
„Dot, sieh wenigstens auf die Einnahmeempfehlung.“
„Mein Hals kratzt, ich muss dauernd husten, hinter meiner Stirn arbeitet ein munteres Rudel Zwerge mit Spitzhacken und ich habe mir an diesem beschissenen Morgen, der mit Kaffeekochen und einem Brötchen auf die Hand angefangen hat, zwei Knöllchen ans Knie nageln lassen. Ich hasse mein Leben.“ Zur Bestätigung meiner Worte stecke ich mir gleich zwei Halstabletten in den Mund. Eine für die linke und die andere für die rechte Wange. Bo zieht mir den Autoschlüssel aus der Tasche.
„Ich fahre. Du bist überhaupt nicht mehr zurechnungsfähig.“
Mit einer raschen Bewegung hole ich mir den Schlüssel zurück.
„Das ist mein Wagen. Den fahre ich. Sobald dein Wolf aus der Werkstatt ist, kannst du von mir aus hinters Steuer.“
„Darfst du nach so vielen Tabletten überhaupt fahren?“
Hätte ich doch lieber erst auf die Packungsbeilage schauen sollen? Bo schnappt sich ein zweites Mal den Schlüssel.
„Soll ich dich nach Hause bringen?“
„Und wo willst du anschließend hin?“
„Wieder zu Streng und Züchtig. Einen letzten Beweis holen, bevor wir uns strafbar machen und Noltes Handy orten."
„Jetzt, wo wir Ingo soooo nahe sind, willst du mich loswerden?“
„Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich will lediglich nicht, dass du richtig krank wirst.“
Hallo! Er kann mich zu diesem Zeitpunkt nicht einfach abschieben. Stur erwidere ich Bos Blick. Der seufzt und gibt mir einen Wink. „Steig ein und brate auf deiner Sitzheizung. Ich zeige dir gleich, wo die erwachsenen verdorbenen Jungs einkaufen.“
11:13 Uhr
Die Schaufensterscheiben sind mit fliederfarbener Folie beklebt, auf der in schwarzen Schnörkeln Streng und Züchtig steht. Die Tür öffnet sich ohne Gebimmel, damit schüchterne Kunden nicht direkt abgeschreckt werden, die sich selbstverständlich nur einmal umsehen wollen. Dicker Teppich bedeckt den Boden und verschluckt unsere Schritte. Fasziniert schaue ich mich um und durchbreche die leise Hintergrundmusik durch mein raues Husten. Hinter der Kasse wird ein älterer Mann in einem Latexshirt, das seine Speckrollen unvorteilhaft betont, auf uns aufmerksam. Er hält ein Hochglanzmagazin in den Händen.
„Treten Sie ruhig näher und stöbern Sie nach Belieben in aller Ruhe. Wenn Sie Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“ Er kichert blöde. „Ganz ohne Peitsche.“
Beinahe hätte ich angesichts Bos leidvollen Gesichts gelacht. Stattdessen flöte ich in dem tuckigsten Ton, den ich hervor bringe: „Schau mal, Schatz. Eine eigene Klinikabteilung.“
„Die wirst du dringend nötig haben, wenn du mich ärgern willst.“ Bo läuft ohne nach rechts und links zu schauen zwischen Ledermasken, Knebeln, Peitschen und verschiedenen Paddeln vorbei zur Kasse.
„Wir haben tatsächlich eine Frage. Ich war neulich schon mal bei ihrem Kollegen …“
„Sie wollen etwas umtauschen?“, fragt der Kassierer meinen Mann.
„Nein. Ich habe ja nichts gekauft. Ich …“
„Ich kann Ihnen alles besorgen, was Sie wollen. Käfige aus Stahl und Bambus,
Weitere Kostenlose Bücher