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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Busch
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in der Finsternis gewesen, der ihm bisher den Mut zum Durchhalten geschenkt hat. Inzwischen kann er nicht einmal weinen, denn ihm sind sogar die Tränen ausgegangen. Wenn also niemand kommt, um ihm zu helfen, muss er sich eben selbst aus seinem entsetzlichen Kerker befreien. Stöhnend stützt er sich an der kalten Wand ab. Sein Körper ist bereits so weit heruntergekühlt, dass ihn die kalte Betonmauer am Rücken nicht einmal mehr erschauern lässt. Ingo beginnt leise zu summen, monoton, geradezu meditativ und in einer beruhigenden Tonlage. Das Summen tröstet und gleichzeitig hindert es ihn, sich Gedanken um sein jetziges notwendiges Tun zu machen. Beinahe hastig schlingt er sich die Kette um den Hals und lässt sich – immer noch summend – einfach fallen … und schlägt hart auf den Boden auf. Die Kette ist zu lang. Mit einem Fehlschlag hat er nicht gerechnet. Jetzt muss er es besser machen. Summend wickelt er sich die Kette nun zweimal um den Hals, wobei er darauf achtet, dass sie über dem eisernen Sklavenhalsband direkt an seiner Haut anliegt. Wieder lässt er sich fallen. Sein Kopf ruckt in den Nacken und würgt das Summen abrupt ab. Durch den Ruck rutscht die Kette über seinen Hals und sein Kinn und schrammt über das krustige Loch in seinem Gesicht, in dem es manchmal widerlich krabbelt. Er heult auf vor Schmerz und nimmt augenblicklich die Hände zu der Stelle empor, an der einmal seine Nase gesessen hat. Das Schmerzgeheul brennt in seiner wunden Kehle. Keuchend lehnt er sich gegen die Wand und wartet, bis die rasenden Qualen auf ein halbwegs erträgliches Maß abklingen. Dann müht er sich erneut auf die Füße. Beharrlich summend startet er einen dritten Versuch. Es ist gar nicht so leicht, sich selbst umzubringen, findet er.
     
     
    08:45 Uhr
    Frau Lüders wohnt in Altona und im dichten Berufsverkehr benötigen wir für die verhältnismäßig kurze Strecke fast zwanzig Minuten. Heute fahren wir in meinem Z3. Die Heizung läuft auf Hochtouren und in meinem Wagen herrschen tropische Temperaturen. Bo ist es viel zu warm, das sehe ich ihm deutlich am Gesicht an. Aber er schweigt, schwitzt und lässt mich die Hitze genießen. Schließlich bin ja ich erkältet. Das Halten an den roten Ampeln nutze ich zum Abhusten.
    „Vielleicht sollten wir dir irgendetwas aus der Apotheke holen“, sagt er nach einer Weile.
    „Später.“ Ich drücke auf den Schalter für die Sitzheizung und stelle auch hier die Höchststufe ein. Fassungslos schaut mich Bo an.
    „Dot, willst du dich auf dem Sitz rösten?“
    Wenn ich ihm etwas von Kopf- und Gliederschmerzen erzähle, wird er mich zwingen, nach Hause zu fahren.
    „Wenn der Schinken zu kochen anfängt, stelle ich schon runter“, sage ich daher, schwelge in der angenehmen, ansteigenden Wärme an meinen Nieren und fahre über den Johannesbollwerk. Zu unserer Linken taucht das Museumsschiff Rickmer Rickmers auf. Das dreimastige, grüne Frachtsegelschiff mit dem roten Kiel wird gerade eben vom Personal geentert und mir kommt in den Sinn, dass Bo und ich dort mal wieder essen gehen könnten. Die haben da ein so fantastisches Fingerfood, dass mir trotz Louisas mitgebrachten Brötchen der Magen knurrt.
    Gleich darauf biege ich rechts ab und nicht viel später befinden wir uns in der Erichstraße, wo Frau Lüders wohnt. Natürlich ist nirgends ein Parkplatz frei, daher stelle ich mich unverfroren ins Halteverbot. Wir bleiben bestimmt nicht ewig und ich kann schlecht aus meinem Wagen die Luft raus lassen, um ihn zusammengerollt in die Hosentasche zu stecken.
    Als ich aussteige, ziehe ich sofort fröstelnd die Schultern hoch. Bo dagegen scheint der schneidende Wind nichts auszumachen. Er steht bereits an der Haustür und klingelt. Hustend geselle ich mich zu ihm und zusammen warten wir auf eine Reaktion. Bo klingelt erneut. Endlich geht der Türsummer und wir können das Treppenhaus betreten. Im zweiten Stock schaut uns ein etwa zehnjähriges Mädchen mit langem Pferdeschwanz von der Wohnungstür aus neugierig entgegen.
    „Hallo, wir wollen zu Frau Lüders“, sagt Bo.
    „Mama ist arbeiten“, erklärt die Lütte. Allerdings kann sie uns die Adresse der Boutique nennen, in der ihre Mutter Geschäftsführerin ist.
    „Und warum bist du nicht in der Schule?“, erkundige ich mich.
    „Ich habe eine Grippe und darf deshalb zu Hause bleiben.“
    Na wenigstens einer, der das Kranksein genießt. Nach einem Tschüss zur Lütten kehren wir zum BMW zurück.
    „Sieh mal, Dot. Die

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