Herbstfraß
schreiben gerade deinen Wagen auf.“ Bo grinst und deutet auf zwei Politessen, die um meinen Z3 herumschleichen.
„Halt!“, schreie ich heiser und renne los. „Ich fahre sofort weg.“
Während eine der Politessen zum nächsten Wagen weitergeht, sieht mir ihre Kollegin streng entgegen.
„Roter Kreis auf blauem Grund mit einem roten X in der Mitte nennt sich absolutes Halteverbot“, erklärt sie mir von oben herab und im besten Oberschullehrerton.
„Danke. Ich kenne das Schild“, sage ich und versuche mich an einem gewinnenden Lächeln.
„Ach? Dann war das also eine Vorsatzhandlung?“
Herrje, ist die mies drauf.
„Nein, natürlich nicht. Ich …“ Irgendwie kommt mir die Politesse bekannt vor. Nachdenklich mustere ich sie, während sie mich ungehalten anstarrt.
„Kathrin?“, frage ich nach einem Moment. „Du bist doch Kathrin?“
Sie runzelt die Stirn und sagt zögernd: „Ja?“
„Ich bin der Robin aus deiner Parallelklasse. Aus der 5a.“
„So, so. Der Robin. Robin Berger, nicht wahr?“
Endlich hat sie mich erkannt. „Ja, genau. Dass wir uns mal über den Weg laufen …“
Ehe ich mich versehe, zückt sie ihr Eingabegerät und schiebt einen Augenblick später ein Knöllchen unter meinen Wischer.
„Deine Angeberkarre behindert hier Rettungsfahrzeuge, Robin Berger. Das macht sage und schreibe vierzig Euro und einen Punkt. Statt in Blech hättest du lieber in Fahrstunden investieren sollen. Da lernt man nämlich die Verkehrszeichen.“ Mit diesen Worten lässt sie mich vollkommen sprachlos stehen. Hinter mir beginnt Bo lauthals zu lachen. Verärgert drehe ich mich zu ihm um. Er lacht tatsächlich Tränen.
„Schön, dass du dich amüsierst.“
„Hast du einen Schlag bei Frauen.“
Es ist wirklich prima, wenn ich für ein bisschen Heiterkeit sorgen kann. Fehlt bloß, dass sich Bo vor Lachen auf dem Boden wälzt. Unwirsch zupfe ich das Knöllchen hinter dem Wischerblatt hervor.
„Blöde Pute“, zische ich erbost, als ich in den BMW steige. Bo nimmt neben mir Platz. Er feixt immer noch.
„Vielleicht hätte ich sie damals nicht an den Haaren ziehen sollen“, murmele ich und starte den Wagen.
„Ja, daran könnte es möglicherweise gelegen haben.“
Angefressen steuere ich den Wagen in Richtung City.
09:37 Uhr
Ingeborg Lüders ist sehr schlank und zierlich. Ihr dunkelbraunes Haar trägt sie aufgesteckt und der elegante Hosenanzug schmeichelt ihrer Figur. Verwundert blickt sie auf unsere Ausweise und bittet uns in ein winziges Büro, das sich an die Boutique anschließt, in der exklusive Damenmode angeboten wird.
„Was kann ich denn für Sie tun?“, erkundigt sie sich, als sie hinter ihrem Schreibtisch Platz nimmt und uns die beiden Stühle anbietet, die davor stehen. Es ist so eng, dass sich unsere Beine berühren.
„Wir würden mit Ihnen gerne über Ihren Ex-Mann sprechen“, sagt Bo, woraufhin ihr geschäftsmäßiges Lächeln gefriert.
„Über Rainer? Dieser Mann ist für mich gestorben. Seit unserer Scheidung habe ich keinen Kontakt zu ihm. Wie sollte ich Ihnen also helfen können?“ Frau Lüders ’ Stimme klingt deutlich kälter, als eben bei der Begrüßung.
„Indem Sie uns erzählen, aus welchem Grund Sie sich von ihm haben scheiden lassen. Soweit wir wissen, handelte es sich um eine Härtefallscheidung.“
Frau Lüders lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und mustert uns. Es ist ihr anzumerken, dass ihr das Thema überhaupt nicht behagt.
„Sein Stiefsohn ist verschwunden“, sage ich, um sie zum Reden zu bewegen. „Deswegen benötigen wir ein paar Informationen zu Herrn Noltes Person.“
Betroffen murmelt sie: „Das tut mir leid.“
Mehr sagt sie nicht, sondern starrt auf ihre Hände, die flach auf ihrem Schreibtisch liegen. Ihr Gesicht nimmt einen abwesenden Ausdruck an.
„Frau Lüders?“ Bo versucht sie aus ihren Gedanken zu reißen. Tatsächlich schaut sie auf. Im ersten Moment wirkt sie etwas desorientiert, schließlich lächelt sie ein wenig gezwungen und sagt: „Rainer ist ein Sadist.“
Eigentlich hätte ich von Bo ein weiteres Ha! erwartet, doch er hält sich zurück.
„Er spielt mit den Gefühlen anderer. Eine Zeit lang habe ich geglaubt, er versucht mich absichtlich in den Wahnsinn zu treiben. Er hat mich psychisch richtig fertiggemacht. Ständig wurde ich kontrolliert. Ich musste ihm sagen, wo ich hingehen wollte und um welche Zeit ich wieder zu Hause wäre, mit wem ich telefoniere und über was ich mit meinen Freundinnen
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