Herbstfraß
Louisas dunkelbraune Augen füllen sich mit Tränen. Entsetzt sehe ich sie an. Frauentränen! Verdammt, was an meinem Satz ist bloß falsch gewesen?
„Ich habe Schluss gemacht.“ Eine Träne kullert über Louisas Wange.
„Warum?“ Bis eben habe ich noch angenommen, dass Torben der Traum ihres Lebens ist und hatte schon die Befürchtung, eine neue Bürohilfe suchen zu müssen, weil sich Louisa möglicherweise zukünftig lieber aufs Kinderwagenschieben beschränken möchte. So kann man sich also irren. Louisas nächste Worte hauen mich beinahe aus den Socken.
„Er hat mich geschlagen, Robin.“
Habe ich gerade richtig gehört? Ich bin schockiert und zwar richtig. Mir fehlen regelrecht die Worte. Dann erinnere ich mich an den blauen Fleck, den sie neulich auf der Wange hatte. Angeblich ein blöder Unfall in der Küche. Was für ein dämlicher Detektiv bin ich eigentlich? Ich hätte wissen müssen, dass es selten blöde Unfälle gibt. Wenigstens nachfragen hätte ich ja können.
„Deine Wange?“
Louisa nickt und weicht meinem Blick aus.
„Und vorgestern ist es wieder passiert.“ Sie weint jetzt und zieht mit einer zitternden Hand den Ärmel ihres Strickkleides hinauf. Ihr Arm ist voller dunkler Blutergüsse. So ein Schwein! Mir kocht glatt die Galle über.
„So ein verdammter Drecksack! Isa, Liebes … Ich hoffe, du hast den Kerl angezeigt.“
Zu meinem Unverständnis schüttelt Louisa den Kopf.
„Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“ Sie schluchzt immer lauter. Angesichts ihrer Tränen fühle ich mich ein bisschen überfordert.
„Ach, Isa.“ Ich ziehe Hamburgs süßestes Mädel auf meinen Schoß und nehme sie tröstend in die Arme. Womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass sie ihre Arme um meinen Nacken schlingt und herzhaft zu schluchzen beginnt. Unbeholfen streichle ich ihr über den Rücken. Es dauert nicht lange und Wimperntusche verschmiert meine Brust. Natürlich sucht sich Bo ausgerechnet diesen Moment aus, um ins Büro zurückzukommen. Verblüfft bleibt er auf der letzten Treppenstufe stehen.
„Was ist denn hier los?“
„Kennst du nicht einen netten Mann?“ Louisa heult weiter, ohne Bo zu beachten, der langsam auf uns zukommt.
„Ich kenne so einige, Isa. Das Problem ist bloß, dass die alle gay sind.“ Ich bemerke Bos verwirrten Blick und halte Louisas misshandelten Arm in die Höhe. Wie eine Puppe lässt sie es sich gefallen.
„Das war Torben, das Schwein. Und sie hat ihn nicht angezeigt“, erkläre ich wütend.
Bo benötigt einen Moment, um zu begreifen, wovon ich rede.
„Torben? Louisas Freund?“
„Ihr Ex!“ Ich fische ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und reiche es Louisa, die sich lautstark schnäuzt.
„Ich will keine Polizei.“ Mit einem tapferen Lächeln rutscht sie von meinem Schoß und steht schniefend auf.
„Die brauchst du überhaupt nicht, Süße. Du hast schließlich uns.“
Ich sehe zu meinem Mann auf. Wie meint Bo denn das?
„Komm, steh auf, Dot. Wir haben einen Job zu erledigen, nicht wahr?“
„Meinst du den Ehebrecher oder den verlorenen Sohn?“, frage ich.
„Vielleicht kann Louisa den Ehebrecher überwachen. Würdest du das schaffen?“ Fragend dreht sich Bo zu Louisa um. Die sieht ihn sprachlos an. Allmählich versiegen ihre Tränen.
„Ist das euer Ernst? Ich bekomme einen Fall? Einen eigenen Fall?“ Noch schnüffelt sie, kann aber schon wieder lächeln. Bo nickt, doch Louisa schaut mich um Bestätigung heischend an. Sie weiß genau, dass ich das Sagen habe. Yeah, ich bin der Häuptling hier!
„Na, mit einer Videokamera wirst du ja bestimmt umgehen können. Und wie man einen fremdgehenden Ehegatten observiert, hast du oft genug von uns gehört“, erkläre ich mich einverstanden. Vergessen sind alle Tränen. Louisa jauchzt und fällt erst Bo und dann mir um den Hals.
„Anziehen, Dot. Wir suchen den Vermissten.“
„Hast du getankt?“ Ich bewege mich bereits in Richtung der Treppe, um Jacke, Brieftasche und Schlüssel zu holen. Bo nickt.
„Und wo ist die Tastatur und die Kaffeekanne?“
„Besorge ich auf dem Weg“, sagt Louisa. Okay, wenn sie das verspricht, werden die Gerätschaften ganz sicher ihren Weg ins Büro finden. Bo, dieser faule Hund, lächelt sie dankbar an.
„Und wer räumt die Schweinerei auf?“, frage ich boshaft meinen Drückeberger. Jetzt seufzt mein Tweety.
„Ich helfe dir nachher. Versprochen.“
09:45 Uhr
Bo fährt einen alten Wagen der Bundeswehr, einen sogenannten Wolf, den
Weitere Kostenlose Bücher