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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Busch
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als wollte sie mich berühren, lässt sie jedoch sofort wieder sinken. Hilflos sehe ich Bo an. Was macht Ingos Mutter hier?
    „Ich wollte Sie besuchen und mich dafür bedanken, dass Sie die Suche nach … dass Sie nicht aufgegeben haben.“
    „Sie haben uns einen Auftrag erteilt, Frau Nolte-Aschendorff“, erklärt Bo. „Und wir bemühen uns immer, einen Auftrag zu erfüllen. Außerdem ist es für uns zu einer persönlichen Angelegenheit geworden.“
    Eine Weile stehen wir uns gegenüber und ringen um die passenden Worte.
    „Hat … hat Rainer Ihnen das angetan?“, fragt Frau Nolte-Aschendorff schließlich. Ich nicke stumm.
    „Es tut mir so leid.“ Sie kämpft mit den Tränen. „Es tut mir so unendlich leid.“
    „Uns tut es leid“, sagt Bo. „Wir haben so sehr gehofft, Ihren Sohn lebend zu finden. Sie haben unser aufrichtiges Mitgefühl …“
    Frau Nolte-Aschendorff schüttelt den Kopf.
    „Es ist meine Schuld. Ich habe die Ohren vor Ihren Warnungen verschlossen und mich dazu auf Rainers Seite gestellt. Wenn ich Ihren Anschuldigungen geglaubt hätte, könnte Ingo noch am Leben sein.“ Sie holt tief Luft, wie um Kraft zu schöpfen. „Ich war am Samstag in der Pathologie. Ich wollte meinen Jungen ein letztes Mal berühren, mich von ihm verabschieden …“
    Die Tränen gewinnen den Kampf und beginnen ihr über die Wangen zu laufen. Ein Anblick, der dafür sorgt, dass ich mich hundsmiserabel fühle.
    „… mich bei ihm entschuldigen, dass ich seinen Mörder geheiratet habe.“ Sie wischt sich über die Augen. Ich suche in der Tasche meiner Jogginghose nach Taschentüchern und reiche ihr die Packung.
    „Danke.“ Sie schnieft, tupft sich in unserem betretenden Schweigen die Nase ab und versucht sich an einem zittrigen Lächeln.
    „Der Pathologe sagte, dass Rainer meinen Jungen verstümmelt hat. Trotzdem wollte ich zu ihm. Aber dann … dann konnte ich es nicht. Und nun, wo ich Ihr armes Gesicht sehe …“
    „Behalten Sie Ingo lieber so in Erinnerung, wie Sie ihn zur Schule geschickt haben“, sage ich leise.
    „Haben … haben Sie Ingo …?“
    „Ja“, antwortet Bo unbehaglich.
    „Hat er sehr leiden müssen?“
    Was sollen wir dieser am Boden zerstörten Frau sagen? Sollen wir ihr von Ingos geschwollener Zunge berichten, die ihm aus dem Mund gehangen hatte, von dem schaurigen Loch in seinem Gesicht oder von dem leeren Blick seiner Augen? Die Polizei wird ihr Ingos Todeszeitpunkt mitgeteilt haben, sodass ihr bekannt ist, dass er tagelang ihrem Mann ausgesetzt war. Sie weiß ebenfalls, dass er verstümmelt wurde. Jetzt hat sie mein Gesicht gesehen und ich war lediglich einen Tag lang in Noltes Gewalt. Es muss ihr klar sein, dass Ingos letzte Tage kein Kindergeburtstag waren.
    „Ingo hat das Beste aus dieser Situation gemacht und er war unglaublich tapfer.“ Was rede ich denn da für einen Unsinn? Es klingt sogar in meinen Ohren blöd. Frau Nolte-Aschendorff jedoch drückt uns kurz die Hände.
    „Danke“, sagt sie. „Vielen Dank.“ Im nächsten Moment hastet sie an uns vorbei in Richtung Ausgang. Oh verdammt! Hätten wir Ingo nicht einen Tag eher finden können? Nur einen Tag?
    „Bo …“
    Mein Mann legt mir wortlos einen Arm um die Hüfte und drückt mich kurz an sich.
    „Bo, ich will in mein Bett zurück.“ Meine vorzeitige Entlassung verschiebe ich auf morgen. Inzwischen will ich mich bloß unter der Decke verkriechen und meinen Medikamentenrausch herbeifiebern.

Dienstag, 16. November
    20:34 Uhr
    Seit heute Mittag sind wir endlich wieder zu Hause. Sowohl Bo als auch der Arzt waren skeptisch, aber ich habe mich durchgesetzt. Damit Bo sieht, dass es mir besser geht, bin ich ganz mutig alleine runter ins Büro gegangen, um das Aussageprotokoll, das mir Oliver vor zwei Stunden gebracht hat, in die Nolte-Aschendorff-Akte zu heften. Ein nunmehr abgeschlossener Auftrag. Louisa hatte mit ihrer Observation des untreuen Ehegatten ebenfalls einen Treffer gelandet. Zwei weitere Erfolge, die unsere Detektei zu verzeichnen hat. Eigentlich könnte ich zufrieden sein. Wäre nur Ingo am Leben … Mein Zeigefinger streicht über das Foto eines lachenden, begabten Jungen, das vorne in der Akte klemmt. Wie schnell ein Leben enden kann.
    Schritte auf der Wendeltreppe kündigen meinen Mann an und ich blicke von dem Foto auf. Bos nackte Füße erscheinen auf den Stufen und als er weiter herabsteigt, sehe ich, dass er lediglich seine Jeans trägt. Jeans und die weichen Mullbinden um seine Hände. Mit der ihm

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