Herbstfrost
bereits aus dem letzten
Loch. Er konnte nicht mehr damit rechnen, dass die Ärzte ihn noch einmal
stabilisieren würden.«
»Okay. Dann verraten Sie mir aber noch eines: Warum hat sich Behrens
an Sie und nicht an uns gewandt?«
»Grabowsky hat ihm vor seiner Beichte das Versprechen abgenommen,
die Polizei außen vor zu lassen.«
»Aber wenn es sich bei dem Gespräch tatsächlich um eine echte
Beichte gehandelt hat, dann war das Versprechen doch überflüssig. Als
Beichtvater hätte Behrens ohnehin mit niemandem darüber reden dürfen. Auch
nicht mit Ihnen.«
»Ich habe keine Ahnung, ob es sich um eine Beichte im sakramentalen
Sinn gehandelt hat.«
»Das sind doch alles Haarspaltereien. Wenn Behrens schon einen
Dritten eingeweiht hat, hätte er sich auch an uns wenden können.«
»Eben deshalb hat er mich angerufen. Er
wusste, dass ich die Polizei nicht hinzuziehen würde. Jedenfalls nicht
freiwillig. Und darüber hinaus war ihm bekannt, woran ich arbeitete. Auch er
ist wie Paul Basidius ein Jugendfreund und hilft mir, wenn sich die Gelegenheit
dazu bietet.«
»Schön für Sie, so viele Freunde zu haben. Was für ein Mensch ist
Behrens denn so?«
Schremmer dachte eine Spur zu lang nach, ehe er antwortete. »In
erster Linie ist er Priester und Mitglied seiner Kongregation. Lebt streng nach
deren Regeln und geht ganz in seiner Arbeit für das Heiligenkreuz-Spital auf.
Erst danach ist er Manager und Geschäftsmann. Aber auch darin ist er sehr gut.«
»Sie sagten, er hilft Ihnen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet:
Das hört sich an, als käme er damit irgendwelchen Verpflichtungen nach.«
Schremmer stieß geräuschvoll Luft durch die leicht geöffneten Lippen
aus. »Sie hören wirklich das Gras wachsen, Jacobi, aber Behrens ist außer
seiner Kongregation niemandem verpflichtet und hat sicher eine weißere Weste
als wir beide.«
»Er ist also integer wie das sprichwörtliche neugeborene Lamm?«, provozierte
Jacobi weiter. Schremmer neigte sich wie ein kampfbereiter Sumoringer vor.
»Ja. Das ist er. Wollen Sie es schriftlich?«
Jacobi legte die Fingerspitzen aneinander. »Gut. Vielleicht ist er
das wirklich, aber wie steht’s mit seinem Umfeld? Sie erwähnten vorhin, die
Sökos würden sich auch ans Personal von Krankenhäusern und Pflegeheimen
ranmachen. Mal angenommen, das HKS wäre so eine
Anstalt, und nehmen wir weiter an, dass Behrens durch Grabowskys Eröffnungen
verschiedene Vorkommnisse in seinem Verantwortungsbereich plötzlich in einem
neuen Licht sieht. Damit würde der Ruf der Anstalt auf dem Spiel stehen. Was
also tun? An die Kripo kann er sich nicht wenden, also ruft er in der Not
seinen diskreten Freund Kurt an.«
Schremmer lachte laut auf. Der Gefühlsausbruch klang echt.
»Hin und wieder wirft man ja der Kripo vor, es mangle ihr an
Phantasie, aber den Vorwurf kann man Ihnen bestimmt nicht machen, Jacobi! Sie
stechen jeden Märchenerzähler mit Leichtigkeit aus. Aber warum verbeißen Sie
sich ausgerechnet in Behrens? Lesen Sie doch erst mal meine Aufzeichnungen, und
dann reden wir weiter.«
Jacobis Mienenspiel war bemerkenswert. In ihm zeichneten sich
bodenlose Scham und tiefste Schwermut ab. »Herr Schremmer, ich kann es nur noch
einmal betonen: Ich weiß Ihr Entgegenkommen wirklich zu schätzen.« Er deutete
auf den vor ihm liegenden Schnellhefter. »Trotzdem sollten wir die Kirche im
Dorf lassen. Dem Volumen nach zu schließen, enthält die Mappe eine umfangreiche
Bestandsaufnahme von Verbrechen.«
»Verbrechen, die von den Sökos begangen wurden.« Schremmer zerbiss
die Worte wie Nüsse.
»Okay. Aber höchstwahrscheinlich enthält sie keine Hinweise auf die
Drahtzieher. Sie selbst haben betont, Grabowsky sei die erste heiße Spur
gewesen, und diese beginnt nun einmal im HKS .
Daran kommen wir nicht vorbei. Warum war Behrens vorhin bei Ihnen?«
Hatte Jacobi geglaubt, den Journalisten mit der Frage in
Verlegenheit bringen zu können, so sah er sich getäuscht. Schremmer schüttelte
über seine Borniertheit nur nachsichtig den Kopf.
»Gestern hat mich Ruth Maybaum angerufen.« Er sprach langsam und
prononciert, als sei das bei einem so begriffsstutzigen Gast wie Jacobi eine
Notwendigkeit. »Ihre Freundin Sarah Feldbach hatte sie gebeten, einem
Kriminalbeamten einen richtungsweisenden Tipp zu geben. Ich sagte, dass mir so
ein Vorgehen sehr ungelegen käme. Ich stünde kurz vor dem Abschluss meiner
Recherchen, kurz vor dem Durchbruch. Aber sie ließ nicht locker. Behauptete,
Basidius
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