Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
Vom Netzwerk:
sie. Aber immer nur zum Einzelfall . Woran soll denn auch ein Zeuge erkennen, dass
die von ihm zufällig beobachtete oder entdeckte Tat Teil eines
Massenexekutionsprogramms ist? Auf so eine Idee kommt doch niemand. Kein Zeuge,
kein Gendarm, kein Journalist, niemand! Und schon gar nicht bei uns, die wir
doch den einschlägigen historischen Ballast mit uns herumschleppen. Den
Gedanken, solch eine Bestialität könnte sich auf die eine oder andere Art
wiederholen, schiebt jeder möglichst weit von sich. Und genau darin sehen die
Sökos ihre Chance. Sie üben ihr inferiores Handwerk äußerst diskret aus. Immer
nach dem Motto: ›Lieb Vaterland, magst ruhig sein!‹ Wenn es die Situation
erfordert, ziehen sie sich auch schon mal für einige Monate zurück – wie etwa
nach dem Fall Cermak, der einigen Staub aufgewirbelt hat.«
    »Sie haben den Fall mitverfolgt?«
    »Natürlich, Jacobi. Und nicht nur den. Die Stärken der Sökos sind
Diskretion, Koordination und Disziplin. Und ihre Bluthunde sind gut dressiert.
Fallen die Lederjackenträger trotzdem einmal auf, tun sie das
schlechtestenfalls als kriminelle Jugendliche, aber nie als Sökos. Verstehen
Sie? Sie beschmutzen ihr eigenes Nest nicht, um den einschlägigen Jargon zu
gebrauchen. Die Organisation gibt jungen Entwurzelten, was ihnen bis dahin
gefehlt hat: Gemeinschaftsgefühl, Geborgenheit, eine geregelte Arbeit und
dadurch materielle Sicherheit. Aber dafür besteht sie auf bedingungslose
Unterwerfung und Erfüllung der verlangten Aufgaben. Und beides bekommt sie.
Niemand schert aus. Dennoch hat man Sicherheitsschotten eingebaut: Gamma-Leute
haben nur zu jenem Beta-Führungsoffizier Kontakt, der sie angeworben hat, und
selbst den kennen sie nur unter seinem Codenamen. In der Regel kommunizieren
sie ausschließlich mit gleichgestellten Gamma-Sökos, dabei dient ihnen eine Anstecknadel
mit einem emaillierten schwarzen Schäferhund- oder Wolfskopf als
Erkennungszeichen.«
    »Sehr sinnig«, warf Jacobi ein. »Die blutige Meute eines blutigen
Herrn.«
    »Die Anstecknadel erfüllt aber noch eine weitere Funktion«, fuhr
Schremmer fort. »Ein Beta-Mann kann so einen Gamma-Söko erkennen, ohne sich
selbst als Söko outen zu müssen. Wie schon gesagt ist es den Gammas nicht
gestattet, den Beta-Kader von sich aus zu kontaktieren. Order erhalten sie über
Telefon oder Botendienste, ihre chiffrierten Vollzugsmeldungen schicken sie an
eine Postfachadresse. Nur im Notfall dürfen sie bestimmte Nummern anrufen. Die
Beta-Krisenmanager vermitteln dann nach Bedarf Ärzte, Fluchtwagen,
Rückzugsquartiere – oder versorgen sie mit Geld. Apropos Notfälle: Angeblich
müssen sich alle Sökos ihre Blutgruppe unter die linke Achsel tätowieren
lassen.«
    »Wieder eine Analogie zur SS . Die
Affinität zu den Nazis ist augenscheinlich, zumindest was die kleinen Fische
anlangt. Wer aber sind die großen? Wer sind die Alpha-Wölfe?«
    »Genau das ist die Einser-Frage.«
    Jacobi neigte seinen Oberkörper vor. »Noch einmal, Herr Schremmer:
Warum wissen Sie so viel über diese Organisation?«
    Schremmers Lippen verzogen sich. »Warum drängeln Sie so, Jacobi? Man
nennt Sie zwar den Terrier, aber sagt man Ihnen nicht auch nach, Sie hätten die
Geduld einer Katze? Davon merke ich leider nichts.«
    »Sie haben vorhin gesagt, Sie würden mich in alles einweihen. Ich
drängle deshalb, weil Sie sich wie eine Primadonna zieren.«
    Schremmer drehte das Whiskyglas mal in die eine, mal in die andere
Richtung. »Also gut: Ich weiß diese Dinge, weil ich endlich einen kleinen Fisch
an der Angel habe. In drei Jahren mühevoller Kleinarbeit habe ich einen Berg
von Indizien zusammengetragen, aber letztlich drohte alles wegen eines
entscheidenden Details zu platzen: Es war mir nicht gelungen, einen einzigen stichhaltigen
Beweis für die Existenz der Sökos zu erbringen. Ich wusste, dass es sie gab,
stand aber trotzdem mit leeren Händen da. Bis vor drei Wochen. Da wandte sich
ein an HIV -1 erkrankter Student an Pater Behrens
und gestand ihm, ein Söko zu sein. Sie können erraten, warum?«
    »Hm, möglicherweise hat sich seine Einstellung zum Wert des Lebens
geändert.«
    »Sie sagen es. Von Bruno Grabowsky haben wir erstmals etwas
Greifbares über die Sökos erfahren. Wir kennen jetzt Namen, Ziel und Struktur
der Organisation.«
    »Das bringt uns zum Ausgangspunkt zurück. Ich brauche die Adresse
von Grabowsky«, sagte Jacobi und blickte dabei vielsagend zu einem
altertümlichen Telefon auf dem

Weitere Kostenlose Bücher