Herbstfrost
Organversagen zur Folge haben?«
»Sie sagen es. Die dafür zuständige Sanitätsbrigade besteht aus
kaltschnäuzigen Intellektuellen, ist speziell auf Ärzte, Pflegerinnen und
Zugehfrauen angesetzt und entwickelt subtile Methoden, um diese Helfershelfer
gefügig zu machen. Scouts beobachten wochenlang den Personalkader eines
Objekts, ehe man bestimmte Leute aufs Korn nimmt: Leute, die Drogen abzweigen,
die brutal mit Schutzbefohlenen umspringen, die Hilfeleistung verweigern oder
gar fahrlässig töten.«
Jacobi schüttelte den Kopf. »Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber das
fress ich nicht. Dagegen sträubt sich mein ganzer gesunder Menschenverstand.
Das ist doch absurd!«
Schremmer blickte vielsagend an die Decke. »Ach? Aber dass viele
tausende Kranke in der Dritten Welt an gefälschten Medikamenten sterben,
dagegen sträubt sich Ihr gesunder Menschenverstand wohl nicht?«
Jacobi blieb die Antwort schuldig, und Schremmer lächelte grimmig.
»Ihre Skepsis ist Ausdruck eines typisch abendländischen
Selbstbetrugs: Dass etwas Derartiges bei uns nach 1945 nicht mehr möglich ist.
Aber trösten Sie sich, mir ist es anfangs genauso ergangen. Vielleicht hilft es
Ihnen, wenn wir die Statistik des Innenministeriums heranziehen. Etwa hundert
bis zweihundert Morde werden hierzulande jährlich nicht als solche erkannt.
Sagen die amtlichen Stellen, aber das ist eine verdächtig niedrige Rate. In
Deutschland geht man von zweitausend Tötungsdelikten aus, die schlichtweg
übersehen werden. Ärztliches Fehlverhalten befördert im selben Zeitraum
beispielsweise dreimal so viele Menschen ins Jenseits. Jetzt rechnen Sie einmal
hoch: Wenn die offiziellen Stellen zweihundert beziehungsweise zweitausend
Morde zugeben, dürfen Sie, ohne sich dem Vorwurf der Übertreibung auszusetzen,
eine wesentlich höhere Dunkelziffer annehmen. Sie dürfen nicht vergessen, dass
die Sökos auch in Süddeutschland ihrem inferioren Handwerk nachgehen! Nehmen
wir einmal fünfhundert Delikte als gegeben an und zählen einen Anteil aller
offiziell vermissten Senioren dazu«, fuhr Schremmer fort. Jacobi hatte die
statistischen Angaben nicht im Kopf, wusste aber, dass es sich um eine
stattliche Zahl handelte.
»Selbstverständlich sind weder die hypothetischen fünfhundert noch
alle als vermisst geltenden Senioren von den Sökos umgebracht worden«, kam
Schremmer dem zu erwartenden Einwand zuvor. »Aber ein gar nicht so kleiner
Prozentsatz davon. Darauf können Sie Gift nehmen, zum Beispiel das von den Sökos
bevorzugte Rohypnol.«
»Das hört sich immer mehr nach einer Milchmädchenrechnung an. Gibt
es denn keine Beweise?«
»Warten Sie, bis ich fertig bin. Addieren Sie erst einmal zu unsrer
hypothetischen Zahl nur ein halbes Prozent aller Haushalts-, Arbeits-, Auto-,
Brand- und Urlaubsunfälle von Senioren. Nicht zu vergessen die Opfer von
Masseninfektionen in Pflegeheimen und ähnlichen Einrichtungen! Und schließlich
noch den größten Posten: einen Bruchteil all jener Alten und Kranken, deren
Ableben zwar überraschend, aber letztlich nicht wirklich unerwartet erfolgte.
Zusammengenommen ergibt das abermals hunderte von Tötungsdelikten. Morde, von
denen niemand weiß, die niemandem aufgefallen sind und die in keiner Statistik
auftauchen! Und jetzt können Sie mir natürlich ins Gesicht sagen, was meine
Hypothese doch für eine Milchmädchenrechnung ist. Und wissen Sie was? Da zucke
ich mit keiner Wimper. Nicht ich will etwas von
Ihnen, Jacobi, Sie wollen etwas von mir ! Außerdem weiß ich, dass ich recht habe.«
Jacobi hob beschwichtigend die Arme. »Bitte, regen Sie sich wieder
ab. Wäre ich zu Ihnen gekommen, wenn ich glauben würde, an der Sache sei nichts
dran? Aber seien wir mal ehrlich: Die Dimensionen, die Sie gerade aufgezeigt
haben, sind grotesk. Natürlich rechnet jeder Staat pro anno mit einer mehr oder
weniger hohen Dunkelziffer an nicht entdeckten Morden, geht dabei aber
hauptsächlich von Einzeltätern aus.«
»Logischerweise. Über siebzig Prozent dieser Tötungsdelikte finden
im engeren Familien- oder Bekanntenkreis statt.«
»Sie sagen es. Ihre Theorie hingegen unterstellt einen gezielten und
organisierten Massenmord an einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Da werden
leise Zweifel doch wohl erlaubt sein. Wie sollte ein derartiger Gerontozid
jahrelang unentdeckt geblieben sein? Das ist schlichtweg nicht vorstellbar. Die
Behörden hätten doch längst Hinweise aus der Bevölkerung erhalten.«
»Haben sie auch, Jacobi. Haben
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