Herbstfrost
sei auch dafür, die Behörden einzuschalten, und wir – damit meinte sie
uns drei – würden uns schon zu lange in einer juristischen Grauzone bewegen. Da
wusste ich, woher der Wind wehte, und entschied mich schließlich fürs kleinere
Übel: für Sie, Jacobi.«
»Verbindlichsten Dank.«
»Ich rief Behrens an«, fuhr Schremmer fort, »da er auf die
veränderte Situation vorbereitet werden musste. Natürlich bekam er Angst,
fürchtete um den Ruf der Klinik. Aber nicht aus den Gründen, die Sie ihm unterstellen! Auch jemand mit weniger Phantasie
kann sich ausmalen, was passiert, wenn ein Krankenhaus in den Sog eines
Medienhypes gerät. Schon der leiseste Hauch eines Verdachts gegen das Personal
hätte katastrophale Folgen. Das HKS könnte
zusperren, vom irreparablen Imageschaden für Gladius Dei gar nicht zu reden.
Deshalb besuchte mich Behrens heute. Wir kamen überein, seinen Namen unerwähnt
zu lassen, weil er für die Behörden ohnehin uninteressant ist. Aber nun haben
sich die Dinge ja leider anders entwickelt.«
»Ja, das haben sie.«
***
Kaum saß Jacobi wieder im Wagen, rief er sein Büro an. »Melanie?
– Gib mir bitte Hans! – Hans? – Habt ihr Grabowsky? – Was heißt, das MEK kann nicht zaubern? Sind sie wenigstens vor Ort? –
Na, Gott sei Dank! – Jetzt quengle bloß nicht wegen dieser blöden
Abhörgenehmigung rum, die kriegt ihr schon noch von der Zehentner. – Wie bitte?
Sie kann ›Gefahr im Verzug‹ nicht mehr hören? Dann lasst euch eben was anderes
einfallen! Sag ihr, Schremmer hält Beweismaterial zum Fall Cermak zurück.
Beweismaterial, das dem Fall eine völlig neue Dimension geben wird. – Nein, das
ist kein lauwarmer Bluff! Morgen bekommt sie ein Dossier über unaufgeklärte Morde
an Senioren, bei dessen Lektüre es ihr die Fußnägel aufrollen wird. Leider hat
mir Schremmer wesentliche Infos vorenthalten. Und frag mich jetzt nicht, warum
ich das weiß, ohne sein Dossier gelesen zu haben! Das spür ich im Urin, du
Reisgänger. Jedenfalls hören wir ihn ab, klar? – Ich fahr jetzt in die
Gaswerkgasse und dann nach Hause. Auch ein Kiberer ist ein Mensch, und laut UNO -Charta hat jeder Mensch ein Recht auf Erholung und
Freizeit.«
Er legte auf, knallte das Blaulicht auf das Dach des Quattro und gab
Gas. In der üblichen Jacobi’schen Rallye-Manier raste er durch
Vogelweiderstraße, Sterneckstraße, Gabelsberger Straße, Nelböck-Viadukt,
Saint-Julien-Straße, über die Lehener Brücke und durch die Ignaz-Harrer-Straße,
bis er schließlich vor dem Haus 19 der Gaswerkgasse hielt. Trotz dichten
Verkehrs hatte die Fahrt nur Minuten gedauert.
Er hätte sich den Parforceritt sparen können. Das MEK hatte den Einsatz bereits erfolgreich beendet. Ohne
Schüsse, ohne Verwundete. Die übliche Qualitätsarbeit Redls, dessen Zug auf
derartige Einsätze mit einem Minimalaufgebot an Leuten spezialisiert war. Nicht
zuletzt deshalb standen nur wenige Gaffer vor der Mietskaserne. Die drei
Festgenommenen, Grabowsky war einer von ihnen, saßen zum Abtransport bereit in
den Einsatzwagen. Man hatte nur noch auf ihn, Jacobi, gewartet.
Er stieg aus. Leutnant Lorenz Redl kam ihm entgegen und berichtete
in knorrigem Pinzgauer Dialekt, dass der Einsatz ein Kinderspiel gewesen sei.
Man habe Grabowsky allein in der Zweizimmerwohnung angetroffen, schwach und
entkräftet im Bett liegend. Wenig später seien seine beiden Betreuer von einem
Drink im Lokal um die Ecke zurückgekehrt, und der Zugriff sei erfolgt, als sie
nichts ahnend die Wohnungstür aufschlossen.
Jacobi bemerkte, dass eine der festgenommenen Personen eine junge
Frau war. Bisher war er davon ausgegangen, dass die Sökos ein reiner Männerbund
waren.
Grabowsky sah erbarmungswürdig aus. Der Tod blickte ihm bereits aus
den Augen. Seinen Papieren nach war der Kfz-Mechaniker und Mechatronikstudent
achtunddreißig Jahre alt, aber Jacobi hätte ihn für einen ausgepowerten
Fünfzigjährigen gehalten. Redl erriet seine Gedanken: »Wenn der nicht
freiwillig auspackt: Hart rannehmen könnt ihr den nicht.«
»Wird nicht nötig sein. Was er uns an Infos liefern kann, wissen wir
zum Teil bereits. Ich habe schon ausführliches Material erhalten. Grabowsky ist
nur als Zeuge wichtig. Übrigens muss dir der Kerl nicht leidtun. Der hat mehr
auf dem Kerbholz, als er jemals abbüßen kann. Schafft ihn ins Krankenrevier der VZA und lasst ihn rund um die Uhr bewachen.
Wahrscheinlich wird man versuchen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Wir nehmen
ihn uns
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