Herbstmilch
Kindern, die sich dort nicht einmal Kartoffeln kochen durften. Wir haben oft den ganzen Tag das Feuer nicht ausgehen lassen, weil selbst der große Herd noch zu klein war. Vom Nachbarn kam immer wieder ein kleiner Bub zu uns, der jeden Tag so viel Hunger hatte und für sich und seine Brüder Brot holte. Er war immer recht dankbar und anständig.
Später kamen dann ganze Karawanen Ungarn mit Pferden und Wagen. Neunzehn Ungarn hatten wir lange Zeit in unserem Haus. Das ganze Haus war übervoll, sogar in unserem Eheschlafzimmer haben sie noch auf Strohsäcken und Matratzen gelegen. Alles wurde knapper, sogar das Heu und das Stroh, weil die Pferde auch Futter brauchten. Die Hennen haben nicht mehr genug Eier gelegt. Manchmal haben die Ungarn bei einer Mahlzeit 20 bis 30 Eier verkocht und gegessen. In der Nachbarschaft bekamen sie aber auch manchmal etwas.
Einmal hatten sie sich alle zu melden und vorzustellen, so daß ich die Pferde füttern mußte. Weil sie aber in keinem richtigen Stall waren, mußte man von hinten an den Pferden vorbeigehen. Ich hatte einen großen Bauschen Heu, und als ich in Bauchhöhe der Pferde war, sprangen sie hoch und schlugen mit beiden Beinen zugleich aus. Ich dachte, ich komme nicht mehr lebend da heraus. Für das Futter hatten sie kein Interesse, die wollten mich totschlagen. Kein Anschreien, kein Streicheln, nichts hat geholfen, aber ich hatte einen Schutzengel und kam doch wieder heraus. Aber nie mehr hab ich die Pferde gefüttert.
Später sind dann einige ungarische Soldaten mit ihren Frauen und ihren Pferden zu anderen Nachbarn gezogen. Wir hatten aber immer noch etliche mit vier Pferden und zwei Kutschern. Die sind immer mit den Pferden nach Pfarrkirchen zum Einkaufen gefahren und haben manchmal unsere vierjährige Carola mitgenommen. Einmal sind die Pferde durchgegangen und haben die Kutsche mit vier Personen und dem Kind über eine große Böschung geschüttet. Zum Glück ist den Leuten und unserem Mädchen nichts passiert, nur der Wagen war kaputt.
Von nun an bis zum Kriegsende war mein Mann in den verschiedensten Lazaretten, zuletzt in München. Ich konnte abends bei den Luftangriffen auf München die Christbäume sehen, mit denen die Flieger ihr Zielgebiet markierten. Dann wurde mein Mann in Herrsching am Ammersee operiert, und es ging ihm besser. Er bekam Urlaub, aber durch die Bombenangriffe waren die Züge ausgefallen, und er mußte eine weite Strecke zu Fuß gehen. Dadurch bekam er eine Lungenentzündung und kam gleich in unserer Stadt wieder ins Lazarett. Nun konnte ich ihn besuchen.
Es war jetzt Ende April 1945 , und die amerikanischen Panzer waren schon zu hören. Da verließ mein Mann das Lazarett und kam zu mir heim. Die amerikanischen Soldaten durchsuchten mit gezogener Pistole das Haus, aber Albert war in Zivilkleidung, und sie beachteten ihn nicht.
Mein Mann mußte immer noch die Kanüle tragen, aber da einmal eine Wespe in sie hineingezogen wurde und er beinahe erstickt wäre, wurde ein feines Tuch darüber gedeckt. Nachdem es etwas ruhiger geworden war, reiste Albert nach München in die Poliklinik. Dort wurde er erfolgreich operiert. Er konnte nun ganz leise reden. Als er aber mit den Ochsen arbeiten wollte, gehorchten sie nicht, weil er zu leise war. So blieb die Arbeit mir.
Albert mußte sich den Amerikanern zur Entlassung stellen. Aufgrund seiner Verwundung kam er gut durch, aber viele, die bei ihm waren, wurden an die Russen ausgeliefert und blieben noch Jahre weg.
*
Als der Krieg zu Ende ging, erinnere ich mich, hörte man von weitem die Panzer fahren. Die kamen immer näher, und schwere Schüsse waren zu hören. Ich bin hinausgegangen, da sah ich schon die ersten Panzer über den Berg kommen, und schon hatte einer einen Schuß abgegeben, der neben mir in die Schuppenholzwand geplatzt ist. Da bin ich schnell wieder ins Haus gelaufen. Die Panzer schossen in die Wälder, daß es nur so krachte, sie machten lauter Feuerstriche. Einige hielten beim Hof an. Dann mußten alle Männer auf dem Hof antreten. Es wurden die Armbanduhren abgenommen, dann gingen die Amerikaner ins Haus.
Ich mußte im ganzen Haus vorangehen, und mit vorgehaltenem Gewehr suchten sie nach deutschen Soldaten. Die Männer, die auf dem Hof antreten mußten, es waren so dreißig, hauptsächlich Ungarn, die wurden dann mit dem Auto nach Pfarrkirchen gebracht und auf der Rennbahn eingesperrt.
Da war bei uns ein fürchterliches Geschrei. Alle Frauen von den Männern kamen in die Stube,
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