Herbstmilch
Küchentür. Seine Mutter kam eines Abends in die Stube und erzählte dem Onkel wieder etwas über mich und hetzte gegen mich. Mein Mann hinter der Tür hörte Wort für Wort, und weil er ebendiesen Vorfall, über den seine Mutter sprach, selbst erlebt hatte, ertappte er sie bei ihren Lügen. Nun war das Maß endlich voll. Er sprang wutbebend auf und sagte, Mutter, mit meinen eigenen Ohren hab ich nun gehört, wie du über meine Frau lügst. Auf der Stelle packst du deine Sachen, und ich bringe dich zum Zug, du gehst zurück in deine Stadtwohnung, du sollst uns zwei nicht auseinanderbringen! Sie schrie, mein eigener Bub wirft mich aus dem Haus!
Von nun an war Friede im Haus. Die Onkel bekamen fröhliche Gesichter, ich habe ihnen nun immer eine Kleinigkeit gebacken, nur für sie, das gab ich in die kleinen Schubladen, die unter der Tischplatte waren. Da haben sie sich gefreut.
Im November 1945 erlitt die Tante einen Schlaganfall und war nun halbseitig gelähmt. Sie war ein echter Pflegefall. Meine Schwiegermutter schrieb mir jetzt, hoffentlich weißt du, was du zu tun hast. Ich dachte, du wirst dich wundern, ich weiß es. Ich hab der Tante alles getan, das Essen eingegeben, aber meistens hat sie es erbrochen, hab sie jeden Tag gewaschen und gekämmt, sie auf den Korbstuhl gesetzt und in den Spiegel schauen lassen, wie gut sie noch ausschaut. Sie war nun recht dankbar, weil sie es so gut hatte. Jeden Tag kam der Arzt mit einem elektrischen Gerät, aber nichts half. Tagsüber waren auch die Onkel bei ihr, aber die konnten ihr nichts recht machen.
Da merkte sie, daß es mit ihr zu Ende gehen wird. Durch die langen Nachtwachen bei ihr war ich oft so müde, daß ich fast vom Stuhl fiel. Mein Mann löste mich ab. Er las aber immer in einem Buch, da schimpfte sie, und ich mußte wieder kommen.
Einmal mußten beide Onkel zu ihr, während ich das Mittagessen kochte. Als sie wieder herunterkamen von der Kammer, da weinten sie beide sehr, so hatte ich sie noch nie gesehen. Ich fragte, was ist denn? Sie sagten, die Tante habe ihnen aufgetragen, meiner Schwiegermutter zu sagen, wie sehr sie mir unrecht getan habe in all den Jahren. Niemand hätte ihr, der Tante, solche Pflege getan wie ich. Nach sechs Wochen ist sie gestorben. Aber die Schwiegermutter hat das wenig berührt, sie kam und nahm alles mit, was sie tragen konnte an Kleidern und Wäsche, weil sie ja Erbin war. Dabei hätte ich das so nötig gebraucht für Kinderkleidchen.
Nach weiteren drei Jahren ist der Onkel Albert gestorben, obwohl er eigentlich gar nicht krank gewesen war. Er hatte noch sein volles Gebiß und nie Zahnschmerzen gehabt. Als er auf der Totenbahre in seiner Kammer lag, brannte zum erstenmal im Haus elektrisches Licht. Er hat es nicht mehr gesehen.
Es ist schon ein hartes Leben, wenn man eine Zeitlang nur vom Pech verfolgt ist, und man kann sich selber nicht helfen, weil die Umstände so sind. Bei mir war das ja wirklich schlimm gewesen. Mußte gleich elf Tage nach unserer Hochzeit der Krieg ausbrechen! Wo ich die ganze Männerarbeit alleine machen mußte. Vier alte Leute und elf Hektar Grund mit einer buckligen Magd! Von den Alten konnte keins mehr arbeiten. Sie brauchten meine Hilfe, und ich half auch von Herzen gern. Die alten Leute hatten es schon gut bei mir. Ich kann ehrlich sagen, wenn eine Bauerstochter eingeheiratet hätte, wären sie nicht so gut gepflegt worden. Ich hab mich gefreut, wenn ich den Kranken jeden Wunsch erfüllen konnte.
Damals gab es noch keine Krankenversicherung, alle Kranken blieben zu Haus und wurden von den eigenen Leuten gepflegt, manche aber nicht. Es wurde auch niemand ins Leichenhaus gebracht. Meine drei Verstorbenen wurden alle im eigenen Haus aufgebahrt. Die alte Tante freute sich schon bei Lebzeiten darauf, daß sie meinen Brautschleier ins Grab mitbekommen sollte. Sie war nie verheiratet und war dann auf dem Sterbebett Braut.
*
Nun mußten wir schauen, daß wir unsere Einnahmen steigern konnten. Alles Geld, was hereinkam, wurde in Düngemittel und Geräte angelegt, der Viehbestand vermehrt, und wir hatten immer die Hoffnung, wir schaffen es schon einmal! Nur für uns blieb immer nichts.
Es lebte jetzt von den Alten nur noch der Onkel Otto. Auch er hatte ein verrenktes Hüftgelenk und Wassersucht. Dann bekam er einen offenen Fuß, und die offene Stelle wurde immer größer. Zuerst verband ihn noch der Arzt, aber als schon das Fleisch von den Knochen fiel, wollte er ihn nicht mehr anrühren. Die Zehen
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