Herbstmilch
fielen auf den Boden und schrien laut mit erhobenen Händen, Heilige Maria, Mutter Gottes, hilf! Sie waren ganz am Boden zerstört. Am Morgen danach pflegten sie sich nicht mehr und hatten für nichts mehr Interesse.
Es waren viele auf der Rennbahn eingesperrt. Solche, die Nazis waren, hatten es noch schlechter. Manche haben sogar Schläge bekommen und wurden mit einem Fußtritt in die Wasserpfützen gestoßen. Viele Leute brachten mit dem Milchkandl etwas zum Essen, weil die Gefangenen Hunger hatten. Unter strenger Bewachung durften die Leute nur über den Holzzaun reden und Essen reichen. Nach einigen Tagen wurden die meisten wieder entlassen. Da haben sich die Frauen wieder gepflegt, ein Mascherl ins Haar gebunden, und das Leben war wieder wie vorher. Gebetet wurde dann auch nicht mehr.
Aber ich muß schon sagen, die Ungarn waren fleißige Leute, ob durch Arbeit oder mit Schwarzhandel, sie verstanden es, aus irgend etwas Geld zu machen, daß das Leben leichter war. Sogar ein Stück Garten haben sie bewirtschaftet und Paprika und Gemüse bei mir angepflanzt.
Als die Amerikaner einmal in der Nacht zu uns kamen, es waren so 15 bis 20 Mann, hab ich mich sehr gefürchtet. Wir waren noch nicht schlafen gegangen. Ich bat den Oberst von den Ungarn, er möchte noch aufbleiben, weil ich mich fürchtete. Den haben die Amerikaner dann so verspottet, weil ein ungarischer Soldat seine Frau bei sich hat und vieles mehr, die haben so gelästert, und doch ist er nicht schlafen gegangen. Es war jedenfalls ein solches Geschrei, daß Carola, die schon lange im Bett war, plötzlich zur Tür hereinkam. Da bekam sie von einigen Soldaten Schokolade. Andere Soldaten gingen in die Speisekammer und holten alles, was es dort zu holen gab. In einem Dampfnudeltiegel mußte ich dreißig Eier braten und die restlichen, ungefähr 25 , in einer großen Pfanne. Mir war alles gleich, Hauptsache, der Ungar ist nicht schlafen gegangen.
Nach den Ungarn kamen dann Sudetendeutsche, die wollten nur kurze Zeit bei uns bleiben, weil ihnen neue Häuser versprochen waren, in die sie nach kurzer Zeit einziehen dürften. Sie haben bei uns auch arbeiten geholfen, die Frau hauptsächlich als Kindsmagd. Christine, unsere zweite Tochter, sagt heute, die Leni war für sie die Oma. Bald aber zogen sie nach Hessen, weil bei uns die Wohnung zu schlecht war und in Hessen Bekannte waren. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder zu uns zurück, weil man in Hessen die Wildsäu und die Flüchtlinge nicht leiden konnte. Sie waren dann für einige Jahre bei uns, da starb eines Tages der Mann. Von dem neuen Haus war keine Rede mehr. Auch die anderen Flüchtlinge haben keine neuen Häuser bekommen.
Nun erst spürten manche Leute hier, was für ein Elend der Krieg für viele Menschen gebracht hat. Das war am Anfang schon schlimm anzuschauen, wie ganze Züge von Vertriebenen vorbeizogen, aber als sie dann in die Häuser einquartiert wurden und blieben, gab es schon recht hartherzige Leute, und das waren immer die Reicheren.
Boshafte waren auch dabei, die den Flüchtlingen das Leben noch schwerer machten, als sie es eh hatten, indem sie das Rauchrohr, das in den Kamin hineinging, verstopften, so daß der Ofen furchtbar rauchte. Aber der Kaminkehrer hat das gemerkt und das Rohr wieder freigemacht.
Doch mit der Zeit zogen viele Flüchtlinge weg in die Stadt. Ganze Siedlungen wurden für sie gebaut, und die meisten waren sehr fleißig, haben nun neue Häuser und sind froh, daß sie hier sind.
*
Mein Mann war nun daheim. Aber immer noch wollte uns seine Mutter, die inzwischen eine Wohnung in der Stadt hatte, auseinanderbringen. Einmal fragte mich mein Mann, ob denn das wahr sei, was die Mutter immer gegen mich vorbrachte. Ich sagte nur, du weißt, daß ich dich nie angelogen habe, aber wenn du mir nicht glaubst, kann ich nichts tun. Er glaubte mir.
Es war schon einige Jahre her, da hatte mich die Schwiegermutter von der Arbeit ins Haus geholt und mich zum Onkel Albert geführt, der auf dem Kanapee saß. Augenblicklich, sagte sie, kniest du dich hin und bittest den Onkel um Verzeihung, und die Tante stieß mich mit der Spitze ihres Stockes an die Stirn. Ich wußte überhaupt nicht, warum. Da kniete ich mich hin und sagte, Onkel, wenn ich etwas Unrechtes getan habe, bitte ich dich um Verzeihung, ich weiß aber nicht, was unrecht war. Der Onkel weinte mit mir, und die Weiber hatten ihren Triumph.
Nun, da mein Mann nicht arbeiten konnte, saß er oft auf dem Sofa hinter der
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