Herbstmilch
blieben heil, aber anschließend ist das ganze Fleisch vom Fuß gefallen bis auf die Knochen.
Jede Stunde, auch in der Nacht, habe ich mit Watte und Sagrotan den Fuß gesäubert und verbunden. Das schwarze Fleisch habe ich mit der Schere weggeschnitten. Manchmal schauten der Doktor und der Pfarrer zu. Beide sagten, sie könnten das nicht machen, und warnten mich vor einer Ansteckung. Ich habe das nicht gefürchtet, ich habe mir immer die Hände mit Sagrotan gewaschen.
Der Onkel mußte im Bett bleiben, und das ganze Fleisch wurde bis zum Knie weggefressen. Er jammerte aber nicht sehr. Jedesmal beim Verbinden mußte ich ganze Batzen gestocktes Blut in den Eimer werfen, die Ferse und die Zehen waren noch dran, alles andere nur noch Knochen. Das ging Monate so fort, bis es dann nicht mehr weiterfraß. Da bildete sich eine trockenere Schicht, und es wuchs wieder Fleisch an, das sah so gerillt aus.
Als der Onkel sah, daß es wieder aufwärtsging, wurde er wieder fröhlich und ich auch. Ich habe ihn beim Liegen gewaschen, rasiert und die Haare geschnitten. Er war mir so dankbar, daß er mir alles geben wollte, was er hatte. Aber sein bißchen Geld war nichts wert, es war noch vor der Währungsreform. Nur seinen Samthut, den er mir gab, konnte ich umrichten lassen.
Ich wäre so gerne Krankenschwester geworden. Als ich früher meinen Vater fragte, ob ich das werden dürfte, wurde er so zornig, daß er mich schlug. Ich habe in meinem Leben immer gern Kranke gepflegt und bin fünfmal Sterbenden beigestanden, aber ich kam nicht zu diesem Beruf. Als sich der Onkel Otto wieder ein bißchen erholt hatte, haben wir ihn vor dem Haus in den Korbstuhl gesetzt. Da, in der Sonne, freute er sich wieder. Nun wollte er auch wieder rauchen. Ich stopfte ihm die Pfeife und rauchte sie ihm an, da sagte er immer, gib sie her, du rauchst sie mir sonst halb aus. Da lachten wir beide, und ich steckte ihm die Pfeife in den Mund. Weil er keine Zähne hatte und schon recht zittrig war, konnte er sie nicht halten.
Der Onkel wurde wieder gesund und ging umher, und das dauerte noch zwei Jahre. Dann aber, er war jetzt 79 Jahre alt, kam es mit ihm zum Sterben. Ich stand an seinem Bett, um ihn zu trösten. Da sagte der Onkel, und er war ganz bei sich, schau, da steht ein Bub am Fußende vom Bett, der steht nun schon eine Weile da, was will denn der? Ich sagte, ich sehe niemand. Aber geh, schau doch, da steht er, er sagt nichts, frage ihn, was er will. Ich sehe niemand, Onkel, du bildest dir das ein. Aber er ließ es sich nicht ausreden, ich sollte den Buben fragen, was er will. Das waren seine letzten Worte, und er starb friedlich in meinem Beisein.
Ich war jetzt im dritten Monat schwanger von unserem zweiten Kind, ich habe es dem Onkel in seiner Krankheit nicht gesagt, weil es heißt, wenn im Haus ein Kind zur Welt kommt, muß eins von den Alten gehen.
Onkel Otto war damals der einzige von meinen vier Leuten gewesen, der eine Rente hatte. 23 Mark hat er Rente bekommen. Er war sehr stolz, weil er sich etwas kaufen konnte. Da hat er sich einen kleinen Luxus geleistet, extra eine Bürste, mit der man ihm nach dem Haarschneiden den Hals abbürsten konnte, und eine kleine Schnurrbartbürste hat er sich auch gekauft. Ich habe ihn immer sehr schön gemacht. Er war weißhaarig und fast immer lustig. Traurig war er nur, wenn er auf dem Kanapee saß und sagte, jetzt geht’s schon wieder in d’ Hosen! Ich sagte dann immer, Otto, das macht nix. Ob a Bazerl oder a Handvoll drin is, das ist gleich. Du brauchst dir gar nichts denken. Ich wasch’s gleich wieder aus. Das war oft bei den Alten so. Der Abort war nicht im Haus, und damals hatte ich noch keine Waschmaschine. Da war alles noch viel Arbeit. Aber ich wußte ja vorm Heiraten schon, daß alle die Leute da sind, und vor dieser Arbeit habe ich mich nie gefürchtet. Wenn die harte Außenarbeit nicht gewesen wäre, hätten wir sogar alle ein schönes Leben gehabt.
Das Lieblingsessen der Alten war eine gute Herbstmilchsuppe mit viel saurem Rahm und im Rohr gebratene Kartoffeln. Herbstmilch ist eine saure Milch, zu der man fast jeden Tag wieder eine gestöckelte Milch dazuschüttet. Dann rührt man um, nimmt einen Liter heraus, verquirlt sie mit etwas Mehl in einem Liter kochendem Wasser und rührt sie dann mit saurem Rahm an.
Wie meine alten Leute schon kränklich waren, kam der Pfarrer und hat ihnen die Letzte Ölung gegeben. Manche Leute fürchten sich davor. Da werden dem Kranken die Augen, Ohren, der
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