Herbstmilch
zeigte ihm dann die Sau, wir Kinder zogen hinterher. Wie die Männer über die Holzplanken schauten, roch wahrscheinlich die Sau Blut und sprang über den Stall hinaus.
Niemand konnte so schnell schauen, wie die weg war. Sie lief über den Hof und die Wiese und wir Kinder alle hinterher. Das war lustig, das hatten wir Kinder uns schon lang gewünscht. Nach einiger Zeit wurde die Sau müde und konnte nur mehr gehen. Da konnte sie am selben Tag doch noch geschlachtet werden.
Wenn früher bei unseren Nachbarn eine Sau geschlachtet wurde, haben sie am Abend immer eine große Schüssel Blutwürste zu uns gebracht. Sie stellten die Schüssel in die Mitte vom Tisch und gingen nicht heim, bis alle Kinder sich satt gegessen hatten. Der Vater war darüber nicht ganz glücklich, er hatte immer Angst, es könnte bei einem oder mehreren ins Bett gehen. Er bot uns immer auf, eßt nicht so schnell und so hastig. Die Nachbarn aber freuten sich beim Zuschauen.
*
Am Ende des Kriegs war ein Fliegerangriff auf Pfarrkirchen. Ein Onkel von uns war gerade sehr krank. Es sollte der Pfarrer kommen und dem Onkel die Sterbesakramente geben. Als er zu uns unterwegs war, stand ein Milchauto auf der Straße, an dem der Pfarrer und der Mesner vorbeigingen. Plötzlich tauchte ein Tiefflieger auf. Er schoß auf das 22 jährige Mädchen, das die Kannen auf das Auto lud. Ihr Vater kroch unter das Auto, doch das Mädchen konnte sich nicht mehr retten, ihm wurde der Kopf gespalten. Der Pfarrer und der Mesner hatten sich in den Straßengraben geworfen, dann aber lief der Pfarrer zurück und steckte dem Mädchen die halbe Hostie in den blutenden Hals.
Ich hörte Schüsse, lief bei uns auf den Berg und versteckte mich hinter einem großen Baum. Da flogen die Flieger drüber. Nach einigen Minuten kamen der Pfarrer und der Mesner an. Da sagte der Pfarrer, in meinem ganzen Leben hab ich noch niemand so fluchen gehört wie diesen Vater. Der Pfarrer und der Mesner haben für das Mädchen gebetet. Sie gingen dann erst spät wieder nach Pfarrkirchen zurück, aber auf dem Umweg durch die Hölzer, denn sie fürchteten sich sehr.
Mein Mann schrieb mir, sooft es ging, einen Brief. Mit einmal blieben die Briefe aus, Tag um Tag. Ich war in großer Sorge. Die Schwiegermutter sagte, ich hätte kein Gottvertrauen. Dabei mußte ich in all den Jahren oft genug aus ihrem Mund hören, warte nur, wenn der Albert nicht mehr zurückkommt, dann werfen wir dich hinaus. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er gefallen wäre, damit auch ich ihn nicht mehr habe. Und noch immer kein Brief.
An einem Freitag nach zwei langen Wochen kam ein Luftpostbrief. Das war noch nie gewesen. Ein Kamerad von Albert hat ihn geschrieben. Am Pfingstmontag 1944 war mein Mann bei Rimini durch einen Halsschuß schwer verwundet worden. Da blieb mir der Bissen im Hals stecken, wir waren gerade beim Mittagessen. Ob er es überleben würde? Nun war bei der Schwiegermutter das Gottvertrauen wieder an der Reihe. Ich habe immer für meinen Mann gebetet, ich hatte ihn ja auch lieb.
Da fiel mir etwas Merkwürdiges ein, das mich sehr erschreckt hat. An ebendem Pfingstmontag war ich mit der Schwiegermutter im Schlafzimmer und zog mich um zum Kirchgang. Plötzlich fiel vor unseren Augen ein großes gerahmtes Bild meines Mannes, das auf der Kommode stand, nach vorne aufs Gesicht. Das war an sich ganz unmöglich, denn es war ein großes Bild mit einer breiten Rückenstütze, und niemand stand in seiner unmittelbaren Nähe. Nach dem späteren Bericht meines Mannes war es gerade in dem Augenblick umgefallen, um halb neun Uhr morgens, als er verwundet wurde.
Nun sahen wir einander lange nicht mehr. Viel später dann wurde Albert nach Landshut verlegt, und endlich bekam ich die Erlaubnis, ihn zu besuchen. Es war ein trauriger Anblick. Er hatte eine Kanüle im Hals, durch die er atmete, und weil die Stimmbänder verletzt waren, konnte er kein Wort sprechen, sondern mußte alles aufschreiben. Als ich heimkam und das erzählte, glaubten sie mir nichts.
*
Not hatten wir Landwirte beim letzten Weltkrieg keine. Die Kleiderkarten waren sparsam, aber Essen gab es schon. Ich bin mit dem Ochsen zur Mühle gefahren, da hab ich zwar kein schönes Mehl heimgebracht, aber man war zufrieden. Fleisch hatten wir selber. Zuletzt, wie dann die Flüchtlinge kamen, wurde alles knapper. Wir hatten manchmal das ganze Haus voll mit Menschen.
Erst kamen Schlesier, eine Frau mit vier Kindern. Dann noch vom Nachbarn ein Ehepaar mit vier
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