Herbstmilch
magere Zeiten. Carola hat die Prüfungen als Beste bestanden, doch im hiesigen Krankenhaus konnte sie nicht bleiben, es mußte Platz sein für den nächsten Kurs. Dann ging Carola nach München, und ich war sehr traurig, weil mein erstes Kind nun schon in der Fremde war.
Christine war für den Hof bestimmt. Doch langsam änderte sich die Lage der Landwirtschaft, und immer öfter hörten wir im Landfunk, wie es den kleinen Betrieben ergehen wird, wenn sie sich nicht umstellen. Daß nun die Kinder keine Zukunftsaussichten mehr hatten, erkannte mein Mann, und so ging Christine in eine kaufmännische Lehre.
Trotz der vielen Maschinen lag die Arbeit allein auf unseren Schultern. Abends war ich beim Essen so müde, daß mir der volle Löffel aus der Hand fiel, weil ich plötzlich eingeschlafen war. Die Kinder stießen mich an und sagten, aber Mutti, schlaf doch nicht immer beim Essen ein. Ich war so müde, daß ich nur den einen Wunsch hatte, einmal in meinem Leben möchte ich ausschlafen dürfen, nur ein einziges Mal. Aber das blieb ein Wunsch.
Monika, unsere Jüngste, ging in die Oberschule. Sie bewarb sich bei der Justiz und kam zur Ausbildung erst einmal ins nahe Amtsgericht in der Stadt, dann nach Passau, und zuletzt wurde auch sie nach München versetzt. Nun waren alle drei Mädchen in der großen Stadt, aber sie besuchten uns oft übers Wochenende und halfen uns bei der Arbeit auf dem Feld und im Haus.
Die langen Jahre nie endender Arbeit hatten nun meine Gesundheit angegriffen, wochenlang lag ich im Krankenhaus und habe mich auch später nie mehr ganz erholt.
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Meine Geschwister und ich haben immer zusammengehalten, auch heute halten wir noch zusammen. Als erste habe ich geheiratet, dann mein Bruder Franz, der älteste, noch während des Krieges.
Der war bei der Luftwaffe als Funker und hat sich bei Kriegsende in einer abenteuerlichen Flucht noch aus Berlin retten können. Ein einziges Mal hat er erzählt, wie er bereits in russischer Gefangenschaft war und trotz der Bewachung entkommen ist, und zwar auf einem Floß über die Elbe. Der Franz war recht begabt und konnte alles mögliche machen, er und seine Frau hatten einen schweren Anfang, doch sie haben auch ein schönes Haus gebaut.
Der Hans hat zu Anfang des Krieges eine Bauerstochter geheiratet, die war von einem schönen Hof, gut zwei Tage Dreschen. Er war im Krieg bei den Gebirgsjägern und ist bis in den Kaukasus gekommen. Der Hans hat immer Glück gehabt, bei seinem letzten Urlaub aber, da hat er schon eine Vorahnung gehabt, daß er nicht mehr heimkommen wird, da sagte er, daß er ins Gras beißen muß. Er ist recht schwer fortgegangen. Seine Ahnung ist wahr geworden. Am 8 . Mai ist er in der Steiermark von Partisanen erschossen worden, das hat mir besonders weh getan. Wir haben vor einigen Jahren sein Grab besucht und es mit Blumen geschmückt, es wird von der dortigen Gemeinde gut gepflegt.
Der Michl ist in amerikanische Gefangenschaft gekommen und wurde nach Amerika gebracht. Die Überfahrt war so stürmisch, daß sogar die Matrosen Angst hatten, das Schiff würde untergehen. Sie kamen aber in New York an, in amerikanischen Uniformen, und da standen am Kai eine Menge Leute, um ihre heimkehrenden Soldaten zu begrüßen. Sie merkten zuerst nicht, daß es Deutsche waren. So bekamen die Gefangenen Schokolade und Zigaretten, bis sich auf einmal herumsprach, daß das Naziboys waren. Da schauten die Leute auf ihre Stirn, wo denn die Hörner sitzen, denn man hatte ihnen vorgemacht, die Nazis hätten Hörner.
Sie hätten ihnen die Gaben am liebsten wieder weggenommen, aber dazu war es zu spät, die Gefangenen hatten alles gleich gegessen. Dann wurden sie nach Oklahoma in ein großes Lager gebracht. Der Kommandant dort fand Gefallen an der Disziplin der Deutschen und hat Vorbeimärsche abgenommen mit erhobenem Arm, wie der Hitler.
Deutsche haben im Lager strenge Ordnung gehalten, und es durfte keiner aufmucken wegen Hitler. Drei Kameraden sind von einem SS -Rollkommando sogar ermordet worden. Den meisten ging es gut im Lager, bis die Greueltaten in den Konzentrationslagern bekannt wurden, dann aber wären sie beinahe verhungert. Auf dem Sportplatz wurden die Feldmarkierungen mit Mehl aufgestreut, die Gefangenen aber bekamen kaum was zum Essen.
Der Michl kam bald wieder zurück und hat dann die Witwe seines Bruders geheiratet. Sie beide haben eine Tochter, ein Bub ist tot geboren worden. Sie haben den Hof ganz neu gebaut, und die Tochter hat einen
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