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Herbstmilch

Herbstmilch

Titel: Herbstmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Wimschneider
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tüchtigen Mann geheiratet. Die haben dann einen Musterhof aufgebaut, zu dem heute die Schüler der Landwirtschaftsschule zur Besichtigung kommen.
    Meine Schwester hat unsere Hoamat übernommen, als unser Vater 1949 gestorben ist. Alle Geschwister haben ihr einstimmig die Hoamat zugesprochen, weil sie ja mit dem Vater allein während des Krieges gewesen war. Sie hat dann einen Sattler geheiratet und bekam eine Tochter und einen Sohn. Im Laufe der Zeit haben sie den ganzen Hof neu aufgebaut.
    Der Alfons, der vierte der Brüder, war in Jugoslawien im Krieg, der ist auch nur mit Mühe und viel Glück den Partisanen entkommen, aber auch er erzählt nur selten was davon. Nach dem Krieg war er in verschiedenen Diensten und hat dann den Entschluß gefaßt, nach Kanada auszuwandern. Weil er kein Facharbeiter war, kam er zu einem Farmer. Dort hatten sie im Winter bei der Waldarbeit wegen der Bären ihre Gewehre bei sich. Den Lohn, den er sich erspart hatte, den haben ihm die Farmerstöchter am Ende noch aus seiner Lagerstatt gestohlen, und mit der Zeit hatte er die Nase voll von Kanada. Da kam er zurück, und eine Bauerstochter, die Erbin eines großen Hofes, hat ihn geheiratet. Auch er hat alles neu gebaut, nur das Haus nicht, das steht unter Denkmalschutz, denn es ist noch ein bäuerliches Holzhaus mit Schnitzereien, wie man sie kaum noch findet.
    Der Sepp, der einmal als Bub verschwunden war und den wir alle voller Angst gesucht hatten, weil er im Gras eingeschlafen war, der ist auch zu was gekommen. Das Mädchen, das er geheiratet hat, hat ein kleines Anwesen von ihren Eltern übernommen. Da aber ihr beider Einkommen zu gering war, ist der Sepp viele Jahre als Pendler zur Arbeit nach München gefahren, als Maurer, bis auch in unserer Gegend das Bauen anfing. Er hat dann mit seinen drei Söhnen nicht nur das elterliche Anwesen neu gebaut.
    Der Schorsch mußte ganz jung in den Krieg, er hat auch bald schon einen Lungenschuß bekommen und ist im Lazarett in Rußland gestorben. Er hat gar nichts von seinem jungen Leben gehabt.
    Der Jüngste nun, bei dessen Geburt unsere Mutter gestorben ist, der ist am weitesten von uns allen weg. Er arbeitet bei einer Tiefbaufirma bei Stuttgart. Er hat dort mit seiner Frau auch ein Haus gebaut und ist längst Großvater.
    So sind wir armen Kinder von damals alle untergekommen, ein frommer Pater aus der Nachbarschaft hat immer gesagt, daß uns unsere Mutter auch aus der Ewigkeit nicht im Stich läßt, und so wird es wohl gewesen sein, denn keines ist auf Abwege geraten.
    Am Allerheiligentag, bei der Totenehrung, da treffen wir uns alle Jahre am Grab unserer Eltern und sind ihnen dankbar, denn sie haben große Opfer für uns Kinder bringen müssen, und besonders schmerzt es uns, daß unsere Mutter so früh, mit 39 Jahren, sterben mußte. Die älteren von uns können diese traurige Stunde nie vergessen, in der wir jedes einen Finger ihrer Hand hielten, als die Mutter starb.

    *

    Ein Ereignis ist mir unvergeßlich.
    Aus der ganzen Nachbarschaft kamen immer die Leute zu mir, wenn ein Angehöriger im Sterben lag. Ich bin schon in meiner Jugend bei Sterbenden gewesen und bin ihnen gerne beigestanden.
    Es war im März, als Leute zu mir kamen, weil ein Nachbar, den der Schlag getroffen hatte, nun zum Sterben kam. Am Abend holten mich drei Frauen, weil der Heinrich, wie sie sagten, diese Nacht nicht mehr überleben würde. Noch drei Personen aus der Nachbarschaft waren im Krankenzimmer. Der Kranke hatte Anfälle von Krämpfen, die immer einige Minuten dauerten und sich so alle zehn Minuten wiederholten. Ihm kamen dann die Augen weit heraus, das Kinn verzog sich, und es schüttelte den Mann, daß nicht nur das Bett wackelte, sondern auch der Kleiderkasten und die Fenster klirrten. Der Hund bellte im Hof, als wenn er spürte, daß sein Herr sterben wird.
    Ich meinte, es steht schlimm um den Kranken, sie sollten den Pfarrer holen. Da sagten sie, dreimal war der Pfarrer schon da, aber da war der Kranke immer bewußtlos, der Geistliche konnte nichts machen.
    Von abends acht Uhr bis zwei Uhr in der Nacht folgten die Anfälle aufeinander. Es ging nun schon auf den Morgen zu, und wir waren alle sehr müde. Da sagte meine nächste Nachbarin, gehen wir heim, der lebt morgen auch noch. So gingen wir zusammen heim, etwa zehn Minuten. Die Nachbarin bog in ihren Hof ein, ich hatte noch etwa 50 Meter. Als ich im Obstgarten nur noch 20 Meter vom Haus entfernt war, geschah etwas Sonderbares.
    Es war eine mondhelle

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