Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Augusta.«
Er musterte
mich einen Moment lang. Dann eilte er zu mir, um mein Stickgarn aufzuheben. Als
er es mir zurückgab, schaute er mich mit lachenden Augen an.
»Darf ich
mich vorstellen? Mein Name ist Wendelin Hegelow. Ihr Herr Vater hat mir die Ehre
erwiesen, mich heute Abend zu sich einzuladen. Die Berichte von meiner botanischen
Expedition nach Deutsch-Südwestafrika erweckten seine freundliche Aufmerksamkeit.«
Ich reichte
ihm meine Hand. Er nahm sie und verbeugte sich leicht.
»Wissen
Sie«, fuhr er fort. »Ich habe dort eine Blume gesehen. Mitten in einem Land, das
man sich trockener und unwirtlicher kaum vorstellen kann. Eine wunderbare kleine
Schönheit, von einem rosa Blütenkranz geziert. Wie angenehm überrascht, ja, begeistert
ich über diesen unverhofften Anblick war, können Sie sich sicher vorstellen.«
Ich nickte.
Doch warum erzählte er mir das?
»Gerade
in diesem Augenblick ergeht es mir ebenso. Sie sind wunderschön, Fräulein Augusta.«
Damit entfernte er sich.
Ich sah
noch zur Tür, als er längst hinaus war. Benommen und überrascht von dieser wunderlichen
Begegnung.
Oh dumme
Augusta, bestimmt hast du einfach nur geträumt. Am helllichten Tag!
Wie ich
schon bemerkte: Mir ist nicht wohl seit einigen Tagen.
Mir ist ebenfalls nicht wohl, seit
ich Augustas Eintrag gelesen habe.
Ob Friedrich
ihr Gift gegeben hat? Vielleicht träufelt er ihr Arsen in den Tee, den sie laufend
zusammen trinken. Das tötet langsam, aber sicher. Kennt man doch aus alten Filmen.
Warum sollte
ihr sonst nicht wohl sein? Schwanger ist sie ganz bestimmt nicht.
Abgesehen
von meinen – wahrscheinlich übertriebenen – Sorgen um Augusta finde ich es lustig,
dass sie beim Sticken unverhofften und außerdem so netten Besuch bekommen hat. Genau
wie ich heute. Jetzt fühle ich mich ihr gleich ein wenig mehr verbunden. Wie gesagt,
ich wusste sofort, dass wir Seelenverwandte sind. Allerdings hoffe ich, dass Basti
nicht auf die Idee kommt, mich zu vergiften.
Als würde
er spüren, dass ich an ihn denke, ruft mein Freund mich an.
»Hey, Rosa«,
sagt er fröhlich. »Ich wollte mal hören, wie dein Tag war.«
Ich habe
Leopold Weidenhain kennengelernt. Er ist zu mir in die Werkstatt gekommen, als ich
gerade sehr verzweifelt war (deinetwegen, mein lieber Sebastian!) und einen langweiligen
Hosensaum genäht habe. Dann hat er mir einen Job als Chefkostümbildnerin in seinem
Musical angeboten und das, obwohl er nur ein einziges Kleid von mir gesehen hat.
Ich zögere
einen Moment.
»Ach, ganz
normal«, antworte ich dann. »Ich habe richtig viel weggeschafft.«
»Ich habe
Mittwochabend frei. Sehen wir uns?«
»Klar doch.«
»Irgendwelche
anderen News?«
Jetzt kannst
du es ihm erzählen, Rosa. Er ist deine große Liebe und er freut sich mit dir, wenn
du Erfolg hast.
»Nö, alles
wie immer.«
Jetzt ist
es passiert. Ich habe selbst eins. Ein kleines Geheimnis. Aber nur für ein paar
Tage. Versprochen. Quasi zum Ausprobieren. Nichts wirklich Ernstes.
Das ist
vielleicht nicht gerade edel, aber trotzdem genieße ich diesen Moment. Es ist eine
klitzekleine Entschädigung für das, was Basti mir angetan hat.
Männer haben
Geheimnisse.
Was soll
ich sagen? Frauen auch.
5. Kapitel
Herz über Kopf
»Soll ich dich am Mittwochabend
zu Hause abholen?«, fragt Basti am Telefon.
»Mmh, ja,
gute Idee.«
»Wollen
wir nach Potsdam ins Kino? Da sind Liebesfilmtage und es läuft ›Harry und Sally‹.
Aber den hast du bestimmt schon gesehen? Oder?«
Basti kennt
meine Begeisterung für romantische Filme aller Art – lustige, schwülstige, tragische.
Ein Liebesfilm geht bei mir immer.
»Zweimal
sogar, aber das macht nichts. Ich hab große Lust.«
»Alles klar.
Ich besorge die Karten online.«
Basti ist
locker wie immer. Als hätte es unsere große Krise gar nicht gegeben.
Erstaunlich,
wie Männer ganz entspannt zur Tagesordnung übergehen, völlig egal, was geschehen
ist. Neulich habe ich in der Zeitung gelesen, warum sie gar nicht anders können.
Es ist nämlich das Urzeiterbe in ihnen, etwas, was nützlich war, als wir Menschen
in Höhlen lebten und statt H&M-Klamotten noch Felle am Körper trugen. Klar,
ein stinkwütendes Mammut, das ›Mann‹ abends lecker am Feuer braten wollte, ließ
sich nicht mit einer Diskussion davon überzeugen, seine Filetsteaks herauszurücken.
Also zack, Keule raus, fertig, nächster Punkt. So sind Männer heute noch. Nicht
mal die Existenz von
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