Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
keine Falschheit zu.
»Du kannst
hier warten. Bastian müsste demnächst zurück sein.«
Sie nennt
ihn Bastian.
Dr. Antonia
Rademann. Das ist die Frau, die er heiraten wollte. Aber sie hat etwas gegen sein
Kind und ist deshalb aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Das muss furchtbar
für ihn gewesen sein. Und dann hat er mich kennengelernt – die kleine chaotische
Schneiderin aus der Weddinger Malplaquetstraße, die vier Studiengänge abgebrochen
hat, an Glückskeksorakel glaubt und in ihrer Freizeit wallende Ballkleider zeichnet.
Echt beeindruckend.
Bevor ich
noch ein Wort sagen kann, ist die schöne Antonia aus dem Zimmer verschwunden. Ich
komme mir plötzlich klein, total blond und dämlich vor.
Als sich
fünf Minuten später die Tür erneut öffnet, erwarte ich gar nicht mehr, dass Basti
reinkommt. Es wird wieder Antonia sein (wahrscheinlich Rätoromanisch oder Suaheli
sprechend) und alle meine guten Vorsätze werden zu Staub zerfallen angesichts dieser
klugen, wandelnden Venus, zu der Basti sich bestimmt jeden Tag seines Lebens zurücksehnt.
»Rosa!«
Gott sei
Dank! Es ist Basti. Ich falle ihm erleichtert um den Hals.
»Schön,
dass du gekommen bist!«
Da bin ich
mir zwar nicht mehr so sicher, weil ich, ohne es zu wollen, auf Schritt und Tritt
den glanzvollen Frauen seiner Vergangenheit begegnet bin. Doch ich lächle tapfer.
»Hast du
Zeit?«
»Deshalb
bin ich hergekommen«, antworte ich.
Er küsst
mich sanft. Ich küsse ihn zurück. Ich rieche, spüre, schmecke ihn. Ganz nah. Aber
innen drin bin ich seltsam weit entfernt.
*
Jola und Margret sind zum Mittagessen
ins Schraders gegangen. Ich habe überhaupt keinen Hunger. Nachdem ich meinen Kolleginnen
mehrmals versichert habe, dass Basti und ich uns gründlich ausgesprochen haben,
zwischen uns wieder alles in Ordnung ist und die Existenz seiner Tochter mich nicht
daran hindert, ihn weiterhin zu lieben, darf ich endlich unbehelligt meiner Arbeit
nachgehen.
Im Moment
sind nur Änderungen zu machen. Mir ist es recht, so kann ich nähen und gleichzeitig
meinen Gedanken nachhängen.
Der gestrige Abend mit Basti ist
eigentlich optimal verlaufen. Wir fuhren in seine Wohnung, redeten fast die ganze
Nacht miteinander, schauten Fotos von seiner Familie, Nadja (bildhübsch!) und Juli
(total süß!) an, streiften ein wenig unsere Expartner und Basti versprach, dass
er Juli ganz bald von mir erzählen würde. Irgendwann später hatten wir wunderschönen
Versöhnungssex. Heute Morgen frühstückten wir zusammen, wobei nur er mit gutem Appetit
zulangte. Ich trank Kaffee und schaute ihm zu, wie er hungrig zwei Spiegeleier auf
knusprigen Toastscheiben verschlang. Hätte ich mir auch gefallen lassen, aber in
meinem Bauch war kein Platz, denn da lag ein dicker Kloß. Oder besser gesagt, die
Existenz seiner beiden Exfreundinnen war mir heftig auf den Magen geschlagen. Obwohl
Basti lieb und hinreißend wie immer zu mir war, fühlte ich mich plötzlich minderwertig,
klein und unbedeutend.
Nadja, die
blasse, asketisch wirkende Schönheit mit der roten Lockenmähne, suchte nach neuen
Therapien zur Bekämpfung von Lungenkrebs. Antonia, die rassige Carmen-Type, hatte
sich der Stammzellforschung zur Heilung von Innenohrschwerhörigkeit verschrieben.
Zwei Frauen im Kampf gegen Geißeln der Menschheit …
… und ich bessere kaputte Hosen
aus und entwerfe Kleider, die dann auch noch aufreißen. Pah! Fast bin ich mir sicher,
dass Basti, der gut aussehende, kluge HNO-Arzt bald genug von mir haben wird. Und
dann? Wie stehe ich dann da? Der Liebeskummer wird mich auffressen.
Ich bin
richtig schlecht drauf. Mieser geht’s nicht.
Zu allem
Überfluss habe ich eine Nadel im Stoff übersehen. Sie bohrt sich schmerzhaft in
meinen Finger. Ich fange an zu heulen. Weil es richtig weh tut … mein Finger, aber
noch viel mehr meine Seele.
Basti wird
seiner Tochter bestimmt nichts von mir erzählen. Wenn sie in einem Monat zu ihm
zieht, wird er längst eine andere Freundin haben. Eine, die gerade Malaria ausrottet,
zwei Meter lange Beine hat und 34 Sprachen spricht.
»Ich bin
abgemeldet«, schniefe ich, während ich den Hosensaum, den ich gerade nähe, auf weitere
zurückgelassene Nadeln untersuche. Eine dicke Träne tropft auf den Stoff.
Ausgerechnet
in diesem Moment klingelt die Türglocke. Oooch, ist das peinlich. Ich hab echt lange
nicht geheult, fast zwei Tage nicht, und ausgerechnet jetzt muss eine Kundin in
den Laden kommen. Margret und Jola hauen sich
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