Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
»Notfall. Sie können in seinem
Büro auf ihn warten.«
Ich schließe
die Tür und lasse mich auf einen Stuhl gegenüber seinem Schreibtisch fallen. Vorhin
ist mir klar geworden, dass es nichts bringt, wenn ich mich weiterhin verstecke
und schmolle. Was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt müssen wir sehen, wie wir
damit klarkommen. Wenn es nach mir geht, fangen wir gleich heute damit an.
Gerade als
ich mir eine Zeitung nehmen und ein bisschen lesen will, geht die Tür auf. Eine
hübsche dunkelhaarige Frau, die an Kittel und Stethoskop eindeutig als Ärztin zu
erkennen ist, betritt gemeinsam mit einem älteren Herrn den Raum. Sie hat eine dicke
Akte in der Hand und redet fließend in einer Sprache mit ihm, die wie Spanisch klingt.
»Oh, Verzeihung«,
sagt sie freundlich, als sie mich sieht. »Ich dachte, das Büro wäre leer.«
Sie dreht
sich auf dem Absatz um und führt den Mann wieder hinaus.
»Kein Problem«,
antworte ich. »Ich kann auch …«
Aber sie
ist bereits hinausgerauscht. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Eindringling und
hoffe, dass Basti bald aus dem OP zurück ist.
Ich stehe auf und trete ans Fenster. Bastis Krankenhaus liegt
in einem grünen Bezirk von Berlin. Draußen höre ich die Vögel zwitschern. Mein Blick
geht in einen weitläufigen Park, in dem ein paar Leute spazieren gehen. Auf dem
Fensterbrett liegen jede Menge Papiere – Patientenakten, irgendwelche Fachzeitschriften,
Formulare (sieht nach viel Arbeit aus) und ganz in der Ecke eine wie ein Buch gebundene
Doktorarbeit.
›Nadja Anton‹ lese ich auf dem Titel. ›EIF-4E is a novel factor driving metastasis in
adenocarcinoma‹ Wow! Ob das …? Neugierig nehme ich das Buch in die
Hand. Hatte Basti nicht gesagt, dass die Mutter seiner Tochter Nadja heißt? Vielleicht
ist ja ein Foto drin? Der Blick auf die erste Seite versetzt mir einen kleinen Stich.
›Für Sebastian und Julia‹ lautet die Widmung. Wenn ich nicht im gleichen Moment
gesehen hätte, dass die Doktorarbeit vor sechs Jahren entstanden ist, hätte ich
sofort wieder einen Fluchtimpuls gekriegt.
Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben, und lege das Buch wieder
an seinen Platz. Trotzdem, ein kleiner Stachel bleibt. Nadja Anton, Verzeihung … Dr. Nadja Anton beeindruckt mich. Sie hat ein ganzes Buch über etwas geschrieben,
von dem ich nicht einmal den Titel verstehe, und das, als sie bereits Mutter eines
kleinen Babys war. Eine leise, fiese Stimme im Inneren fragt mich, was ein gebildeter
Mann wie Basti an einer stinknormalen Schneiderin wie mir eigentlich toll finden
kann.
Die Tür
geht auf und die auffällig hübsche Ärztin schneit erneut herein. Dieses Mal spricht sie Englisch, aber am Telefon.
»Unfortunately there are only few groups out here in Germany, treating
deafness with stem cells … Mmh… Okay! Bye Nick. I’ll call you back tomorrow. Bye!” Sie legt auf und wendet sich mir zu.
»Schwester
Barbara hat mir gesagt, dass Sie eine Patientin von Dr. Andrees sind«, sagt sie.
»Er ist noch im OP. Ich vertrete ihn. Worum geht es denn?«
»Ich, ähm,
ich bin keine Patientin«, sage ich verunsichert. »Ich warte nur so auf Ba… ich meine
Dr. Andrees.«
Sie schaut
mich mit gerunzelter Stirn an.
»Ich kann
auch draußen warten«, sage ich. »Wenn Sie das Zimmer für Patienten brauchen, oder
so.«
Diese Ärztin
ist wirklich ein Hammer, eine spanische Type mit streng zurückgebundenen Ebenholzhaaren
und dunklen, fast schwarzen Augen. Jetzt lächelt sie. Ihre vollen Lippen entblößen
strahlend weiße, ebenmäßige Zähne. Schneewittchen! Würde sie nach Hollywood gehen,
hätte Angelina Jolie nichts mehr zu melden.
»Du bist
Rosa, stimmt’s?« Sie hält mir ihre gepflegte, schmale Hand hin. »Ich bin Antonia.
Du hast von mir gehört?«
Ich nicke
und starre dabei auf das kleine Namensschild an ihrem Kittel. ›Dr. A. Rademann‹.
Noch eine
Frau Doktor! Na klar.
»Ich … ähm.
Schön, Sie kennenzulernen.« Ich zwinge mich, der Traumfrau in die Augen zu schauen.
»Meine Lieblingstante heißt auch Antonia.«
Lieber Himmel!
Hätte mir nicht irgendetwas Intelligenteres einfallen können?
Einen Moment
lang mustern wir uns still.
»Süß«, sagt
sie dann, weniger zu mir als zu sich selbst. »Bastian hat recht. Unglaublich süß.«
Redet sie
von mir? Freundliche Worte, doch aus ihrem Mund klingen sie überheblich. Oder bilde
ich mir das nur ein? Sie lächelt schließlich richtig nett dabei. Schöne Menschen
haben es leichter im Leben. Man traut ihnen einfach
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