Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
verziert oder ganz schlicht. Oma hat sie früher von alten Sachen
abgetrennt und gesammelt. Zu Zeiten, als noch alles umgearbeitet, aufgetragen und
zur Not zweckentfremdet, aber auf keinen Fall einfach weggeworfen wurde. Ich erinnere
mich, wie gern ich als kleines Mädchen mit den bunten Teilchen gespielt habe.
Und siehe
da: Die Sammlung verfehlt ihre Wirkung auf Juli nicht.
Sie kippt
begeistert den Inhalt der Schublade auf den Boden, beginnt zu sortieren und dabei
Rollenspiele zu spielen. Ich muss die bösen dicken Hornknöpfe spielen, die die hübschen
roten Knöpfchen, welche mit bunten Blumen verziert sind, fangen und einsperren wollen.
Es macht
Spaß.
Als Basti
in mein Zimmer kommt, um uns zum Essen zu holen, habe ich Juli gerade in einen roten
Sari gewickelt und ihr eine goldene Schärpe umgebunden. Ich trage, auf Julias Wunsch
hin, ein altes kariertes Kleid mit Puffärmeln und bauschigem Rock von meiner Oma,
in dem ich aussehe wie eine zu groß geratene Schulanfängerin. Fehlen nur noch aufgeschlagene
Knie und die Zuckertüte.
Basti lacht
sich schlapp über mich, allerdings nur so lange, bis seine Tochter ihm ein schwarz
glitzerndes, schmales Kleid samt Federboa aufgeschwatzt hat.
Ich kann
vor Lachen kaum meine Pfannkuchen essen. Richtig leicht und unbeschwert ist unser
erster Nachmittag zu dritt. Ich bin ganz vernarrt in Bastis kleine Tochter. Während
wir am Tisch sitzen und reden, lachen und essen, fühlt es sich beinahe an, als wären
wir eine Familie.
Gegen Abend
brechen die beiden auf. Juli muss am nächsten Tag in die Schule und Basti bald zu
seiner Schicht ins Krankenhaus.
»Ich wäre
gern geblieben«, flüstert er mir ins Ohr. »Um dir dein entzückendes Kleidchen vom
Leib zu reißen.«
Ich küsse
ihn und frage mich in diesem Moment, ob das für Juli nicht blöd ist. Aber die Kleine
nimmt es ganz lässig.
»Papa hat
mir schon gesagt, dass ihr verknallt seid.«
Wie sie
so süß ›Papa‹ zu ihm sagt! Ich muss sagen, das Vatersein steht ihm. Ich finde es
regelrecht sexy. Als sie weg sind, steht meine Entscheidung doppelt fest. Morgen
werde ich es Leo sagen.
Es ist Basti!
4. November
1912
Ich bin dem Ratschluss meines
Herzens gefolgt. Nachdem ich lange nachgedacht und mehrere Nächte kaum geschlafen
habe, wurde mir endlich klar, was ich zu tun habe.
Ich bat
Friedrich um eine Unterredung und als er kam, sagte ich ihm, dass ich unsere Verlobung
lösen und die Hochzeit absagen werde. Zuerst lachte er und meinte, das könne nur
ein Scherz sein. Er bat mich, nicht mit seinem liebenden Herz zu spielen.
Ich weiß
nicht, woher ich auf einmal die Sicherheit hatte, zu erkennen, dass er log. Waren
es seine wild glühenden Augen, sein gekünsteltes Lachen, seine fahrigen Gesten?
Als er begriff, dass ich es ernst meine, schlug seine Stimmung um in kalte Wut.
Er wollte wissen, ob ich schon mit meinen Eltern gesprochen und ob womöglich ein
anderer Mann mir den Kopf verdreht hätte. Bei einem dummen Ding wie mir sei das
zweifellos denkbar. Ich verneinte beides und bat ihn dann zu gehen.
»Wir werden
heiraten, Augusta«, sagte er, als er mein Zimmer verließ. Seine Augen blickten so
böse bei diesen Worten, dass mir angst und bange wurde.
Eine Stunde
später ließen meine Eltern mich in den Salon bitten. Friedrich war nicht zu sehen,
doch der aufgelöste, desolate Zustand meiner Mutter bewies, dass er mit ihnen über
meine Entscheidung gesprochen hatte. So habe ich meine Eltern niemals zuvor erlebt.
Was nun folgte, war alles andere als erfreulich. Eine Flut von Drohungen, Beschimpfungen
und peinlichen Fragen ergoss sich über mich. Ich verhielt mich still und zurückhaltend,
blieb aber unbeugsam. Wieder und wieder nannte ich ihnen meine Beweggründe: Ich
könnte Friedrich von Oranienbaum nicht heiraten, weil ich wüsste, dass er mich nicht
liebt, und ich würde ihn ebenfalls nicht lieben.
Ich hoffte,
das Glück ihrer einzigen Tochter würde meinen Eltern letztlich wichtiger sein, als
die Heirat in einen höheren Stand.
Am Ende
beschlossen sie, mich für einige Zeit unter strenger Aufsicht auf Gut Kletzin leben
zu lassen, damit ich zur Ruhe und Vernunft käme. In der Berliner Gesellschaft würde
man verbreiten, ich wäre an einem Lungenleiden erkrankt und weilte zur Genesung
an der See.
Ich ließ
mir nicht anmerken, wie froh ich über diese Lösung war.
Kletzin
– mein verträumtes geliebtes Haus in der lieblichen Mark Brandenburg. Fast meine
gesamte Kindheit habe ich dort verbracht.
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