Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
zukünftige Ehefrau spielen. Dann,
wenn alle zu Bett gegangen sind, werde ich leise hinunter zum Pferdestall gehen
und von nun an nur noch tun, was mein Herz mir sagt.
Verdammt!
Ich werde
nicht mehr erfahren, wie es weitergeht, denn Augustas Eintragungen enden hier. An
der spannendsten Stelle. Wie in einer blöden Seifenoper. Fast verzweifelt blättere
ich Seite für Seite um. Nichts!
Ich lege
das Tagebuch vorsichtig auf mein Bett.
»Was ist
aus dir geworden, Augusta?«, flüstere ich. »Bist du Friedrich entkommen?«
Ich wünsche
mir so sehr, dass sie glücklich geworden ist.
Am liebsten
würde ich Vicki wecken und ihr alles erzählen. Vielleicht weiß sie, wo weitere Tagebücher
zu finden sind. Moment mal! Sie hat es mir doch gesagt vor ein paar Wochen. In der
Bibliothek, meinte sie, sollen noch jede Menge alte Papiere herumliegen.
Aufgeregt
schlüpfe ich in meine Pantoffeln, lege mir ein Tuch um die Schultern (es ist mitten
in der Nacht und ziemlich frisch in der Wohnung) und stapfe in den düsteren, leicht
muffig riechenden Raum. Wieder nimmt mich die seltsame Atmosphäre inmitten der alten
Bücher gefangen.
Ein Schauer
überläuft mich. Die Bibliothek ist schon bei Tag ein wenig unheimlich. Doch jetzt,
nach Mitternacht, ist sie beinahe richtig gruselig. Tausend Schauermärchen fallen
mir ein.
Es hilft
nicht mal, dass ich Licht anknipse. Die uralte verstaubte Deckenlampe macht den
Raum nicht wesentlich heller. Ich bin sicher, dass mich gleich etwas von hinten
anspringt. Ich sollte lieber ins Bett gehen und mir die Decke über den Kopf ziehen.
Entgegen
aller Bedenken fange ich – ein wenig zögerlich – an herumzustöbern. Vorher hole
ich mir eine Taschenlampe aus der Küche, denn ich will meine Suche unter den Regalen
beginnen, da, wo ich Augustas Tagebuch gefunden habe.
Ich knie
mich hin und leuchte. Enttäuschend. Nichts zu finden.
»Was machst
du da?«
Mit einem
lauten Schrei springe ich auf. Eine Gänsehaut überzieht mich und ich bin sicher,
dass Augusta selbst hinter mir steht, beziehungsweise ihr Geist.
Doch es
ist Vicki. Zwar sieht sie in ihrem langen Nachthemd und mit schwarzen Ringen unter
den Augen einem Gespenst nicht ganz unähnlich, aber ihr freches Grinsen gibt sie
eindeutig als meine Freundin zu erkennen.
Ich erzähle
ihr, was ich im Tagebuch gelesen habe.
»Wenn du
sonst keine Sorgen hast«, sagt sie und geht schulterzuckend an eins der Regale.
»Da können wir Abhilfe schaffen. Hier ist«, sie zieht ein dickes braunes Buch aus
einem Fach, »so eine Art alte Familienchronik. Mit Stammbaum und allem drum und
dran. Ich habe das Teil neulich erst gefunden.«
»Und du
hast mir nichts gesagt?«
Vicki sieht
mich schelmisch an. »Da steht nur amtlicher Kram drin, wer wann geboren und gestorben
ist, welche Geburten es gab. Natürlich auch Hochzeiten. Das, was dich interessiert,
also ob die Leute glücklich waren und ob sie sich liebten bis an ihr seliges Ende,
das kannst du da leider nicht nachlesen.«
Den Ruf
der romantischen Spinnerin werde ich wohl niemals los.
»Also, lass
uns nachschlagen und dann gehen wir schlafen«, bestimmt Vicki und unterdrückt ein
Gähnen.
»Stehst
du da auch drin?«
Sie lacht.
»Ganz sicher nicht. Wie gesagt, mein Vater hatte es nicht so mit dem ganzen Titel-
und Adelskram.«
Das Buch
ist staubig, vergilbt und riecht seltsam, aber die Schrift kann man noch wunderbar
lesen. Hektisch blättere ich um, bis ich das Jahr 1912 erreicht habe. Mein Herz
pocht bis zum Hals. Meine Augen fliegen über die Seiten.
»Da ist
sie«, sagt Vicki und zeigt auf einen Eintrag ganz unten auf der Seite.
»Oh mein
Gott«, flüstere ich.
›Augusta von Liesen, verehelicht am 30. November 1912 mit
Friedrich Graf von Oranienbaum, gestorben am 22. Dezember desselben Jahres.‹
»Tut mir leid«, sagt Vicki und legt eine Hand auf meine Schulter.
»Ich weiß, du hängst irgendwie an ihr. Scheinbar ist doch alles wahr, was über sie
erzählt wird.«
»Sie war so jung«, sage ich und wische eine Träne weg. »Ihr
einziger Fehler war, dass sie ihren Gefühlen folgen wollte.«
»Das war kein Fehler, Rosa«, sagt Vicki leise und schaut mich
plötzlich ganz ernst an.
»Du machst dich nicht über mich lustig?«, frage ich, verwundert
über diesen Sinneswandel.
»Nein«,
antwortet meine Freundin. »Du übertreibst zwar manchmal, aber im Grunde hast du
recht. Was zählt im Leben, ist, dass man sich gut fühlt, mit dem, was man tut. Nur
dann ist es auch richtig.«
»Siehst
du!
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