Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
erholt, dass ein
von mir genähtes Kleid sang- und klanglos aufgeplatzt ist. Seitdem arbeite ich noch
sorgfältiger, falls das überhaupt möglich ist. Auch wenn ich weiß, dass ich gar
nicht schuld war an dem Desaster, sondern eine neidische Person mit einer Schere
in der Hand.
Die Kundin,
der man auf zehn Kilometer ansieht, dass sie viel Geld hat, rauscht in den Laden
und lässt sich in gespielter Erschöpfung auf den erstbesten Stuhl fallen. »Ratet,
was ich für Neuigkeiten habe?«
Dass sie mich duzt, finde ich relativ okay. Ich weiß, dass ich mit meinem schmalen
Sommersprossengesicht und dem hellblonden Pferdeschwanz jünger aussehe, als ich
bin. Aber Margret und Jola sind nun wirklich gestandene Frauen. Ich finde, die beiden
einfach unaufgefordert zu duzen, ist respektlos. Beschweren können wir uns leider
nicht wirklich. Wir sind Dienstleister und unsere Kunden sollen sich wohlfühlen.
Müssen wir uns deshalb eigentlich alles gefallen lassen? Ich habe bisher keine zufriedenstellende
Antwort auf diese Frage gefunden. Margret und Jola reagieren gelassen. Sie lächeln
freundlich und versenken sich dann in ihre Arbeit.
»Da bin
ich echt gespannt«, antworte ich.
Frau Hofmann
hat auf ihren Einsatz gewartet und legt jetzt richtig los. »Die Villa neben unserer
steht seit Monaten leer. Aber gestern war da auf einmal was los. Ich sag es euch.
Ein Haufen Möbelwagen. Limousinen und so weiter …« Sie fächelt sich Luft zu.
Ich kann
mir lebhaft vorstellen, wie sie gelauert hat.
»Jetzt ratet,
wer da neben mir einzieht?«
»Keine Ahnung«,
sage ich.
»Komm schon,
rate«, fordert sie. »Und nenne mir ja nicht Fulton-Smith oder irgend so einen deutschen
Fernsehlangweiler.«
Ȁhm, dann
muss es George Clooney sein.«
Ich sehe,
wie Margret mit knapper Not ein Prusten unterdrückt.
»Beinahe
…«, hechelt meine Kundin und springt plötzlich auf.
Meine Bemerkung
war eigentlich als Witz gemeint. Jola spitzt die Ohren und guckt interessiert zu
uns herüber. Sie hat nämlich ein Faible für Promis.
»Ich brauche
ein weiteres Kleid«, kreischt meine Kundin. »Für die Einstandsparty! Wir sind die
nächsten Nachbarn also werde ich dabei sein und dann muss ich das schönste Kleid
anhaben und ich erwarte dass du dich selbst übertriffst mein Kind und da spielt
Geld keine Rolle haben wir uns verstanden?« Ohne Punkt und ohne Komma, und vor allem
ohne Luft zu holen.
Lieber Himmel!
Der neue Nachbar muss jemand völlig Atemberaubendes sein. »Wer zieht denn nun ein?«,
frage ich ungeduldig.
»Leopold
Weidenhain«, röchelt meine Kundin und wird rot wie eine Tomate.
Margret
springt auf und rennt aus der Werkstatt vor die Tür. Ich weiß, dass sie draußen
einen riesigen Lachanfall kriegt. Ich habe Pech und muss ernst bleiben.
Wer bitte
ist Leopold Weidenhain? »Das ist toll«, sage ich mechanisch und blättere in Gedanken
sämtliche ›Gala‹-Hefte durch, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Da war doch
mal was … Also, der Typ ist garantiert kein Promi, der täglich in der Zeitung
steht. Den Namen habe ich trotzdem schon gehört. Welcher normale Mann heißt denn
bitte sehr Leopold?
»Ist eine
schöne Mann das«, sagt Jola und nickt wissend.
Ich wusste
es! Jola kennt jeden Promi, von A- bis C-Klasse. Ich schaue sie Hilfe suchend
an. Meine Kundin nimmt unterdessen einen tiefen Schluck aus ihrer Wasserflasche.
»Der Schönste«,
sagt sie dann. »Und das Beste ist, dass er neuerdings Single ist. Es ist aus mit
diesem zickigen Supermodel. Die haben wirklich überhaupt nicht zusammengepasst.«
»Ja, genau«,
sage ich. Zwar habe ich nach wie vor keinen Schimmer, aber will nicht zugeben, dass
ich nicht weiß, von wem sie redet. »Das finde ich auch … Ähm, ich hole dann mal
das Kleid, in Ordnung?«
»Bringst
du aus meine Rucksack bitte die Taschentücher für mich?«, fragt Jola und zwinkert
mir unauffällig zu.
In unserem
kleinen Hinterzimmer haben wir eine Kleiderstange für Neuanfertigungen, unsere Stoff-
und Garnvorräte und eine Garderobe für unsere Privatsachen untergebracht. Ich denke,
Jola wollte mir einen Wink geben. Tatsächlich. Aus ihrer Handtasche guckt eine ›Bild‹.
Hektisch blättere ich sie durch. Und da ist er (Überschrift: ›Hollywood im Hauptstadt-Anflug‹)!
Leopold Weidenhain – Regisseur aus Deutschland, international erfolgreich, vor zwei
Jahren Oscar-Nominierter, wohnhaft in London und Los Angeles. Er kommt nach Berlin,
um Regie bei einem brandneuen Musical zu führen. Das schrille
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