Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
eiskalt. Vielleicht sollte
ich mir Gummistiefel zulegen. Die sind ja neuerdings modisch. Einziger Nachteil:
Sie haben nie, aber auch wirklich niemals hohe Absätze. Und das mag ich gar nicht.
Ich bin süchtig nach High Heels. Lieber gehe ich barfuß als in flachen Schuhen.
Vicki ist
in bester Stimmung, als ich nach Hause komme. Sie wirtschaftet in der Küche herum.
»Kommt Daniel
heute?«, frage ich.
Seit Kurzem
verheiratet, haben sie allerdings keine Anstalten gemacht, zusammenzuziehen. Was
mich wundert, denn in Vickis Wohnung wäre mehr als genug Platz für die beiden, sogar
wenn ich nicht ausziehe. Aber bisher kommt Daniel weiterhin nur ein paarmal pro
Woche zu Besuch.
Meine Freundin
stammt aus einer stinkreichen Familie. Bis zu ihrer Hochzeit trug sie den klangvollen
Namen Victoria von Liesen. Richtig verstehen kann ich noch immer nicht, warum sie
unbedingt ganz bürgerlich Victoria Graf heißen wollte. Lediglich ihre Bücher wird
sie wie bisher unter ihrem adligen Namen veröffentlichen.
Als wir
beim Essen sitzen und ein Glas Weißwein dazu trinken, frage ich Vicki endlich, was
mir schon länger auf der Seele liegt. »Willst du eigentlich, dass ich demnächst
ausziehe?«
»Nö. Wie
kommst du darauf?«
»Na, weil
…« Möchte ein frisch verheiratetes Paar denn nicht ungestört zusammenwohnen? »Ich
… ich dachte, du willst vielleicht mit Dani … Weil ihr jetzt …«
Ich weiß
gar nicht, warum ich auf einmal so unsicher bin.
Vicki lächelt
und mustert mich. Ihre faszinierenden grünen Katzenaugen strahlen mich an.
Und jetzt
weiß ich es doch. Ich möchte gar nicht ausziehen, denn ich wohne unglaublich gerne
mit Vicki zusammen. So geborgen und gleichzeitig frei habe ich mich nie zuvor gefühlt.
Ich sollte ihr das ganz direkt sagen (»Bitte lass mich hierbleiben. Ich bin total
glücklich bei dir.«). Womöglich fühlt sie sich dann unter Druck gesetzt.
Warum ist
es bei den wirklich wichtigen Dingen im Leben eigentlich unendlich schwer, die richtigen
Worte zu finden?
»Ich will
gar nicht, dass du ausziehst«, sagt Vicki jetzt.
Ich könnte
vor Erleichterung direkt losheulen.
»Willst du ?«
Ich schüttele
den Kopf. »Nein«, sage ich. »Nein, wirklich nicht. Aber was ist mit Daniel?«
»Er hat
doch selbst eine tolle Wohnung. Außerdem sehen wir uns laufend. Ich finde, das reicht.
Die Hochzeit war für meinen Geschmack erst einmal genug.«
Irgendwie
passt diese Einstellung zu Vicki.
»Ich bleibe
gern«, sage ich erleichtert.
»Toll, dann
ist ja alles klar und darauf trinken wir.«
Eine Stunde
später ist die Weinflasche leer, und ich wanke müde ins Bett. Vicki macht sich auf
zu Daniel. Basti ruft aus Hamburg an und wünscht mir eine gute Nacht. Auf dem Nachttisch
liegt Augustas Tagebuch. Ich habe keine einzige Zeile gelesen.
*
Als am nächsten Morgen der Wecker
klingelt, ist es stockfinster.
Ich tappe
in die Küche, um mir Kaffee zu machen. Eigentlich fühlt es sich an, als ob ich viel
zu früh aufgestanden bin. Doch im Radio laufen gerade die 7-Uhr-Nachrichten. Also
habe ich mich nicht vertan. Es ist einfach noch total finster draußen. Ich schaue
gähnend aus dem Fenster. Der Berliner Himmel ist ein einziges schwarzes Wolkenchaos.
Margret
ruft mich an und sagt, dass ich heute zu Hause bleiben soll.
»Warum das
denn?«, frage ich verwundert.
»Die paar
Änderungen schaffen Jola und ich heute mal alleine. Du solltest lieber die Entwürfe
für unsere hysterische Vil-len-la-dy zeichnen«, begründet sie ihren ungewöhnlichen
Vorschlag.
Ich bin
nicht böse über Margrets Angebot. So bleiben meine Füße wenigstens trocken.
Nach einem
ausgiebigen Frühstück mit Vicki, die von Daniel zurückgekommen ist und sich gefreut
hat, dass ich zu Hause bin, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und denke über
ein passendes Kleid nach. Die Kundin ist kein Mauerblümchen und dass sie den tollen
Leopold beeindrucken will, ist klar. Zu aufreizend sollte ihr Kleid dennoch nicht
sein, denn das kann ganz schnell billig wirken. Wenn sie das will, muss sie in eine
Boutique gehen oder besser in einen Sexshop. Meine Mode ist weiblich und romantisch,
auch gern eine Spur erotisch. Mehr jedoch nicht.
Da ich keine
richtige Idee habe, schalte ich meinen Computer an und google Bilder vom berühmten
Objekt ihrer Begierde. Es gibt unglaublich viele Treffer. Auf beinahe jedem Foto
sieht der Typ einfach klasse aus. Ich kann verstehen, warum meine Kundin Herzklopfen
hat. Dann forsche ich ein bisschen über das
Weitere Kostenlose Bücher