Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
neue Musical nach. Da gibt es weitaus
weniger Einträge. Aber am Ende weiß ich genug.
›Transylvania
love dreams‹ soll das Werk heißen, bei dem Leopold Weidenhain Regie führt und für
dessen Welturaufführung er extra nach Berlin gezogen ist. Augenblicklich laufen
die Vorbereitungen, Castings und so weiter. Man kann sich sogar für alle möglichen
Jobs in der Produktion bewerben. Die Musik hat ein amerikanischer Komponist beigesteuert,
der nicht ganz, aber beinahe so berühmt wie Andrew Lloyd Webber ist. Die Geschichte
gefällt mir. Sie erinnert mich ein bisschen an die Schneekönigin, nur dass dieses
Mal ein junges Mädchen ihren Liebsten aus der Hand einer Vampirkönigin befreien
muss. Und dabei wird sie beinahe selbst zur Untoten, denn es begegnet ihr jemand,
der sie in Versuchung führt. Wow! Das ist eine tolle Geschichte. Ich bin begeistert
und meine Fantasie macht sich umgehend auf die Reise.
Ich sehe
Rosana, die schöne junge Heldin, in ihren verschiedenen Kostümen. Zuerst als unschuldig
Verliebte, die in einem romantischen weißen Kleid an ihrem Hochzeitstag auf ihren
Verlobten wartet, der nicht kommt, weil eine Vampirlady ihn verführt hat. Dann in
einem hellen schlichten Reisekleid, als sie sich auf den Weg macht, um ihn zurückzuholen
…
Ich beginne
zu zeichnen. Vergessen ist das Kleid der Kundin auf Männerfang. Ich tauche ein in
die transsilvanischen Träume und wache erst auf, als Vicki anklopft und fragt, ob
wir zusammen zu Mittag essen wollen.
»Illustrierst
du neuerdings ein Gruselbuch?«, fragt sie und kniet sich neben mich.
Der Boden
ist übersät mit Vampir-Zeichnungen. Ich kehre zurück in die Wirklichkeit und bin
total baff, wie viel ich in den wenigen Stunden produziert habe.
»Ich weiß
selbst nicht, was mit mir los war«, sage ich und reibe mir die Augen. »Margret hat
mir eigentlich freigegeben, damit ich ein paar Entwürfe für eine Kundin zeichne.«
»Na, die
wird begeistert sein«, sagt Vicki.
»Ich weiß,
ich bin bescheuert«, antworte ich und raffe die Zeichnungen zusammen.
»Nein«,
ruft Vicki und hält meine Hand fest. »Nein! Das meine ich ernst. Die Klamotten sind
umwerfend. Ich meine, nicht dass ich sie auf der Straße anziehen würde … Aber dafür
hast du sie ja wohl nicht entworfen. Oder?« Sie sieht mich von der Seite an.
»Nee«, sage ich. »Ich hatte auf einmal so eine Geschichte
im Kopf.«
»Du zeichnest wunderbar«, sagt Vicki.
Angesichts des Wetters beschließen wir, nicht rauszugehen,
sondern uns etwas zu essen kommen zu lassen. Obwohl das ziemlich gemein gegenüber
dem Pizzaboten ist, der 20 Minuten später triefend und tropfend unter einer gelben
Regenplane vor uns steht. Vicki lädt ihn mitleidig zu einem Kaffee ein, doch er
guckt uns nur finster an und verschwindet rasch. Immerhin hat er ein anständiges
Trinkgeld bekommen.
»Ob es jemals wieder aufhört zu regnen?«, denke ich laut,
während ich eine Sardelle von meiner Pizza kratze. Ich hatte eigentlich eine schlichte
Margherita bestellt, aber anscheinend ist der Pizzabäcker verliebt, denn er hat
mir Unmengen dieser scheußlich salzigen Fischchen auf den Teig gelegt. Vicki ist
hochzufrieden mit ihrer vegetarischen Variante, obwohl sie eigentlich eine Salamipizza
bestellt hatte. Kein Wunder, dass alle irgendwie durch den Wind sind. Das Wetter
schlägt einem eindeutig aufs Gemüt.
*
Am Nachmittag komme ich endlich
dazu, Augustas Tagebuch in die Hand zu nehmen. Vicki ist wieder zu Daniel gefahren,
und ich bin allein zu Hause. Für die Kundin habe ich drei Entwürfe gezeichnet. Wenn
sie am Ende der Woche in den Laden kommt, kann sie selbst auswählen. Ich nehme mir
die Kurrentschrifttafel, um mich an Tante Augustas Schrift zu versuchen.
10. September
1912
Wie schön ist es, einen Moment
Zeit zu haben, um meinem Tagebuch einige Gedanken anzuvertrauen.
Gestern
Nachmittag hat uns Friedrich endlich wieder einmal besucht. Ich habe mich sehr gefreut,
ihn zu sehen, denn je näher unsere Hochzeit rückt, umso seltener kommt er, um mir
seine Aufwartung zu machen. Ich finde das sehr verwunderlich, denn immer, wenn wir
zusammen Tee getrunken und einen Spaziergang gemacht haben, konnte ich es kaum erwarten,
erneut mit ihm zusammen zu sein. Ihm scheint es jedoch nicht so zu gehen.
Ach, ich
weiß, ich bin eine unvernünftige Person. Mutter hat mir schon oft erklärt, dass
die Männer ihren Abstand brauchen. Nur dann kommen sie immer gern zu ihrer Herzensdame
zurück. Aber ich kann nichts
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