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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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in die Kiste tat, die nun fast voll war. Ich schickte mich an, weitere Papiere zu holen, um die Kiste ganz vollzumachen, doch er herrschte mich an: »Zumachen!« Er stand neben mir und kontrollierte, wie ich den Deckel zuklappte. Ich warf einen raschen Blick zu meinem Schreibtisch. Dort, halb verdeckt unter ein paar Formularen, lag immer noch Paulchens Akte. Die bräuchten sie ja ohnehin nicht mehr, ich würde sie an mich nehmen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Sartorius einige Buchstaben auf die geschlossene Kiste schrieb. Dann trat ich wieder zum Aktenschrank, holte andere Ordner heraus und begann, die nächste Kiste zu füllen. So ging das bis zum Nachmittag und irgendwann kam Herr Huber mit einigen Männern, die Kisten wurden auf einen Handwagen geschleppt und durchs Fenster sah ich, wie die Männer mit den Unterlagen im Park verschwanden. Eine Weile stand ich unschlüssig herum. Die Gelegenheit war günstig. Ich zog Paulchens Mappe unter den Formularen hervor, löste die Heftschienen und steckte die Papiere unter meine Strickjacke. Als ich aus dem Nebenzimmer ein Geräusch hörte, beeilte ich mich fortzukommen. Ich tat, als sei mir kalt, und eilte mit um den Leib geschlungenen Armen den Korridor entlang nach oben in mein Zimmer. Dort stopfte ich die Sachen zwischen meine Wäsche. Dann ging ich wieder zurück ins Büro, und als ich eintrat, hörte ich Schwester Elses Stimme: »Na, da sind Sie ja, die Kinderschwester ist schon janz runter mit die Nerven, wegen dem armen Würmchen von der Hanna. Die schreit dat janze Haus zusammen. Können Sie die kleene Lilli nich mal beruhijen?«

 
    Ich setzte mich ins
Café Nil
nicht weit von Mutters Haus. Ich wollte und konnte jetzt nicht alleine sein, ich brauchte Gesellschaft, und sei es nur die von einer Kellnerin und einer älteren Frau, die einen Dialog mit einem unsichtbaren Gegenüber führte. Ich kannte das Café bisher nur vom Vorübergehen, es war ein wenig karg, doch irgendwie eigentümlich. Der Raum musste früher ein Ladengeschäft gewesen sein, denn die Schaufenster waren groß und verliefen über die gesamte Front und die rechte Wand des Cafés und man saß gewissermaßen Auge in Auge mit den Passanten. Ich steuerte einen Platz am Fenster der Seitenstraße an, in sicherer Entfernung von der monologisierenden Alten, und noch im Gehen zog ich meinen Mantel aus und legte ihn über einen hölzernen Stuhl. Bei der arabisch aussehenden Kellnerin bestellte ich einen Milchkaffee und betrachtete dann das braune Päckchen, das vor mir auf dem Tisch lag. Auf einmal hatte ich Angst. Eine herzumklammernde, völlig irrationale Angst vor dem, was vielleicht in dem Päckchen sein könnte. Ich gab mir noch eine Gnadenfrist bis zum Eintreffen des Kaffees. Mein Herz hämmerte, ich fühlte mich wie vor einer meiner Dolmetschvorführungen in grauer Vorzeit. Ich rief mich zur Ordnung, erklärte mir selbst, dass es sich bei dem, was ich hier vor mir liegen hatte, wohl tatsächlich nur um wichtige Bankunterlagen handelte, die Mutter nicht zu Hause aufbewahren wollte. Vielleicht waren Wertpapiere darin oder Aktienscheine. Warum konnte ich das Päckchen nicht einfach öffnen? Ich betrieb meine Vermeidungsstrategie noch ein wenig weiter, indem ich mir die in meerkühlen Tönen gekachelte Theke und die cremefarbenenLeuchten ansah, die überall im Raum aufgehängt waren. Ihr milchiger Schirm verbreitete ein diffuses Licht und die lindgrünen Wände hätten in einer anderen Situation sicher beruhigend auf mich gewirkt. Der Milchkaffee kam und ich begann den Knoten der Paketschnur, die um das Bündel geschlungen war, zu lösen. Mein Herz klopfte nun zum Zerspringen. Ich faltete das Papier auseinander. Zuoberst lag ein schwarzes, an den Ecken abgestoßenes Buch. Ich vermutete, dass es sich dabei um Oma Charlottes Manuskript handelte. Ich nahm es, legte es beiseite und breitete die anderen Unterlagen aus. Da war zum einen ein kleiner weißer Umschlag, auf dem
To whom it may concern
stand. Ich erkannte Mutters Schrift wieder, aber auch wenn es Maschinenschrift gewesen wäre, hätte ich diesen Ausdruck sofort Mutter zugeordnet. Sie hatte schon immer ein Faible für Pathos, gepaart mit dem offiziellen U N-Jargon . Ärger stieg in mir hoch, ich hätte sie anschreien mögen: Wer sonst außer mir sollte diesen Brief denn bekommen, die Bundeskanzlerin vielleicht? Ich wandte mich dem anderen Umschlag zu, braun, DIN A5 und ziemlich ausgebeult. Im Nachklang der Wut ignorierte ich den kleinen

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