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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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blickte nicht auf, als wir vorübergingen.
    »Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich Ihnen hier keine Zimmer zeigen kann, das ist privat. Außer natürlich meinem eigenen.«
    Er sah mich bedauernd an und ich beeilte mich zu sagen: »Das wäre wunderbar, wenn ich Ihr Zimmer sehen dürfte. Ich weiß sowieso nicht, in welchem meine Großmutter gewohnt hat.«
    Er nickte und ich war ihm plötzlich unendlich dankbar.Vielleicht war ich aber auch nur rührselig, weil meine Augen nun auf all dem ruhten, von dem ich wusste, dass auch Oma es gesehen hatte. Auf diesem Parkettboden mit den Einlegearbeiten; dem breiten Korridor, der kein Ende zu nehmen schien; den breiten Türen; den hohen Decken. Der Junge wollte gerade die Klinke zu seinem Zimmer herunterdrücken, als ein langhaariger Mann, der aussah wie ein altes Kind vom Bahnhof Zoo, meinen Begleiter ansprach und wissen wollte, wer ich sei und was ich hier machte. Der Rest ging ziemlich schnell. Ehe ich mich versah, hatte der Langhaarige mich hinauskomplimentiert. Ein paar Minuten später stand ich mit dem Jungen vor dem Haus.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte Ihnen gern das ganze Haus gezeigt, auch mein Zimmer.«
    »Mir tut es leid. Ich hoffe, Sie bekommen keinen Ärger.«
    »Nee, sonst is der auch nicht so. Das ist wohl nur, weil in letzter Zeit öfters Leute hier reinwollten. Ohne Besuchserlaubnis oder Anmeldung.«
    »Wie ich. Meine Schuld. Ich hätte vorher anrufen sollen.« Ich lächelte und er lächelte zurück.
    »Fritz – er ist einer von den Therapeuten – ist besorgt um uns. Und um die Einrichtung. Hat wohl Angst, dass sich hier ein Journalist einschleichen und was Negatives schreiben könnte. Über das Therapiezentrum. Und dass sie es dann dichtmachen. Dabei interessieren sich die Leute doch nur für die Geschichte.«
    »Kommen denn so viele her und wollen das Haus sehen?«
    »Sagen wir mal so: Fritz glaubt an einen Zusammenhang zwischen dem Gemunkel, dass sie das Therapiezentrum schließen wollen, und den Besuchen in letzter Zeit. Er sagt: Jahrelang hat sich kein Schwein für das Haus hier interessiert und plötzlich rennen sie uns hier die Bude ein. Vielleicht denkt er auch, dass sie uns anonym Inspektoren schicken, was weiß ich.«
    »Diese Leute, die das Haus sehen wollten   …«
    »Ja?«
    »Erinnern Sie sich an die?«
    »Tja, da war eine Frau, vor ein paar Monaten, im Herbst muss das gewesen sein, da lagen überall die Laubhaufen herum   …«
    Ich nickte, in der Hoffnung, er würde weitersprechen. Was er auch tat:
    »Diese Frau wollte alles genau sehen   … ach ja, und die hatte eine Mutter, die hier ihr Kind bekommen hatte, bei den Nazis. Die hat mich ganz schön gelöchert, ob hier noch irgendwelche Unterlagen vom Lebensborn sind. Was natürlich Quatsch ist. Und dann – das ist noch keine Woche her – war da ein Mann, der sich am liebsten alles alleine angesehen hätte.«
    Ein seltsames Gefühl beschlich mich und ohne nachzudenken fragte ich: »Vor einer Woche, sagen Sie? Was war denn das für ein Mann?«
    »Hm. Er hat gesagt, er würde ein Buch über die Geschichte vom Lebensborn schreiben. Er hat mir eine Menge Fragen gestellt, aber zu den meisten konnte ich nichts sagen.«
    »Und wie sah er aus, dieser Mann?«
    »Etwas größer als ich, was ja keine Kunst ist« – der Junge grinste und zeichnete mit dem Finger einen Markierungsstrich in die Luft – »etwa so. Blond war er und ziemlich gut aussehend, so wie dieser eine amerikanische Schauspieler   … wie heißt der noch?«
    »Robert Redford.«
    »Ach nee, Sie kennen den?« Der Junge sah mich verblüfft an.
    »Kennt den nicht jeder?«
    »Den echten schon. Aber egal   … Auf jeden Fall wollte dieser Typ ganz genau wissen, wie viele Leute das Haus hier besichtigt haben in der letzten Zeit. Vielleicht hatte er Angst vor Konkurrenz. Dass ihm einer seine Idee klaut.« Er kratzte sich am Kopf. »Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein. Der hat sogar genau nachgefragt, wie die Frau ausgesehen hatte, die sich das Haus im letzten Herbst angesehen hatte.«
    Seine Worte trafen mich mit voller Wucht und in meinem Kopf gab es einen Ruck. Der Junge musterte mich, dann grinste er und sagte: »Nichts für ungut, aber ist das so eine Art wissenschaftliches Rennen, was Sie alle da veranstalten? Kommt mir ja fast vor wie eine Gralsuche   …«
    Ich versuchte ebenfalls ein Lächeln zustande zu bekommen, doch es rutschte mir an den Mundwinkeln ab. Ein wenig lahm sagte ich schließlich: »Tja, da haben Sie

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