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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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uns wohl ertappt.«
    Er nickte, verschmitzt und zufrieden. Plötzlich fiel mir noch etwas anderes ein. »Und die Frau, die im Herbst da war, erinnern Sie sich an ihren Namen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nee, mein Namensgedächtnis ist nicht das beste.«
    »Hieß sie vielleicht Sternberg?«
    »Tut mir leid, ich weiß es wirklich nicht.«
    »Wie alt war sie denn?«
    »Na, so um die sechzig.«
    »War sie groß oder klein?«
    »So mittel, würd ich sagen. Kinnlanges Haar, blaue Augen, hat sicher mal ziemlich gut ausgesehen.«
    Kurz schoss mir die Frage durch den Kopf, wie er mich wohl beschrieben hätte. Vielleicht als eine verblühte Jungfrau im Kamelhaarmantel mit peruanischem Ökostrickschal. Aber was hatte er da gerade gesagt?
    »…   von noch weiter her als Sie.«
    »Wie bitte?«
    »Sie sagte, sie sei aus Wien.«
    Ich spürte, wie meine Gedanken durcheinanderpurzelten und Bilder wie ein Wasserfall in meine Augen stürzten. Sie war tatsächlich hier gewesen. Sie hatte dieselbe Spur verfolgt wie ich. Ich war auf demselben Weg wie sie.
    »Sie sind ganz sicher?«
    »Aber ja. Ich fand das so durchgeknallt.«
    »Wieso?«
    »Na, dass einer quer durch Europa fährt, um sich ein Haus voller Exjunkies anzusehen.« Er grinste.
    »War sie denn mit dem Auto da?« Das würde zu ihrer Flugangst passen, dachte ich.
    »Klar, die waren mit dem Auto da. Das hatte ja Wiener Kennzeichen.«
    »Die? Waren es denn mehrere?«
    »Da wartete jemand im Auto auf sie.«
    »Ein Mann oder eine Frau?«
    Der Junge zuckte mit den Achseln, rollte die Augen nach oben.
    »Können Sie die Person beschreiben? War’s vielleicht der Mann, der vor einer Woche alleine da war?«
    Seine schwarzen Augen starrten angestrengt ins Leere. Dann schüttelte er den Kopf. »Keine Ahnung. Ich habe nur gesehen, dass da jemand im Auto saß. Aber die Scheibe war beschlagen.« Er zuckte bedauernd die Achseln. »Ist das denn wichtig? Ich kann rumfragen, ob jemand die Person im Wagen gesehen hat. Wenn Sie wollen. Immerhin waren wir, die Frau und ich, eine Weile auf dem Grundstück unterwegs. Da sind sicher ein paar von den andern vorbeigekommen. Aber andererseits   … hier sind alle ziemlich mit sich selbst beschäftigt.«
    »Vielleicht erinnern Sie sich an den Wagentyp?«
    Ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht. »Yep«, sagte er und fügte hinzu: »Ein dicker, fetter, silberner Rentner-Mercedes.«
    Ich unterdrückte ein Lächeln und nickte. Dann zog ich eine von meinen Visitenkarten heraus, schrieb meine Handynummer dazu und gab sie ihm. »Melden Sie sich, falls Sie noch was herauskriegen.« Dann bedankte ich mich bei ihm, setzte mich ins Auto und legte den Rückwärtsgang ein. Während ich durch die düstere Allee fuhr, vorbei an den Rhododendron-Türmen und den Laternen, die ein orangerotes, verlorenes Licht in den Abend sandten, fragte ich mich, wer die Person bei Mutter im Wagen gewesen war.

 
    Die Namensweihe begann, Dr.   Sartorius trat vor, hielt eine kurze Ansprache, dann wurde ein Sinnspruch der SS rezitiert. Schließlich trat der Zeremonienmeister vor die Versammlung und ich erinnere mich, dass er – wie bei diesen Gelegenheiten üblich – nicht nur über den Sinn der Namensweihe sprach und dass sie die christliche Taufe ersetze, sondern auch über das Germanentum und dass wir hier und heute zusammengekommen seien, um unseren Beitrag fürs Vaterland und den Fortbestand der »arischen Elite« zu leisten. Ich weiß noch, dass Paulchen auf meinem Schoß zappelte wie ein kleiner Fisch. Und dass ich plötzlich an den anderen Paul denken musste, der nach Meinung all dieser Menschen hier nicht zur Elite gehörte. Weil er eine jüdische Großmutter gehabt hatte. Als Hanna aufstand, riss mich das aus meinen Gedanken. Ich ließ sie nicht aus den Augen, während sie nach vorne ging. Der Zeremonienmeister fragte: »Deutsche Mutter, verpflichtest du dich, dein Kind im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung zu erziehen?«
    Hanna gab ihm die Hand und sagte mit fester Stimme: »Ja.«
    Dr.   Sartorius wandte sich mit der Frage an den S S-Paten , der mit nach vorne gekommen war: »Bist du, S S-Kamerad , bereit, dieser Mutter und ihrem Kind, wenn sie in Not und Gefahr geraten, persönlichen Schutz zu verleihen?«
    Täuschte ich mich oder tauschten Hanna und der Pate tiefe Blicke aus? Der S S-Mann sagte, ebenfalls händeschüttelnd: »Ja.« Ich drehte mich um, zwei Reihen hinter mir saß die Ehefrau und betrachtete das Ganze mit einem Ausdruck, der

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