Herbstwald
unendliche Zeit dabei zugesehen, wie sie starben. Zuerst sein Vater und wenig später auch seine Mutter.
Der Kriminalanalyst lenkte den Chrysler in das Parkhaus für die Bediensteten des Polizeipräsidiums. Von Schedl hatten sie Plastikkarten bekommen, die ihnen den Zugang zum Gebäude und dem Parkhaus ermöglichten. An einer der beiden Stahldrehtüren des Personaleingangs, auf den ein halbes Dutzend Kameras gerichtet war, traf er Lilian Landhäuser. Sie suchten gemeinsam den Besprechungsraum, der sich bald als das Büro von Kriminalhauptkommissar Hofbauer herausstellte.
Nach einer kurzen privaten Unterhaltung entschieden sie sich, in die Kantine des modernen Zweckbaus zu gehen. Hofbauer gab einen Kaffee aus, mit dem sie sich an das Ende eines langen Tisches in der hintersten Ecke setzten.
Draußen regnete es noch immer. Die Regentropfen bahnten sich den Weg quer über die bodentiefen Fenster. Das Wasser verwandelte die Welt hinter dem Glas in ein verschmiertes Ölgemälde.
Landhäuser war die Einzige, die ihre Unterlagen mitgenommen hatte. Vor ihr lag jetzt der Collegeblock und ein Kugelschreiber mit dem Logo des Bundeskriminalamtes.
»Wir machen langsam Fortschritte mit den Anzeigen.« Schedl brachte das Thema auf den Fall.
»Wann können wir mit den Untersuchungsergebnissen von dem Hund rechnen?«
»Dr. Schubert hat einen Veterinärmediziner hinzugezogen. Morgen will er uns das Ergebnis präsentieren.«
Davídsson war überrascht, dass die Antwort nicht von Hofbauer oder Schedl kam, sondern von seiner Kollegin.
»Ich habe heute Morgen mit ihm telefoniert«, sagte Landhäuser, die seinen Blick offensichtlich richtig gedeutet hatte. »Die Leiche von Catharina Aigner ist heute von der Staatsanwaltschaft freigegeben worden. Wir können damit die Beerdigung organisieren. Ich habe darüber mit meinem Partner schon gesprochen, und heute wollten wir Sie für meine Idee gewinnen.« Landhäuser sah kurz Davídsson und dann Hofbauer und Schedl an. Sie saßen ihr gegenüber.
»Wenn man die Beerdigung richtig inszeniert und die Medien einbindet, kommt vielleicht jemand, der uns etwas über das Opfer verraten könnte, das wir noch nicht wissen und vermutlich auch sonst nie erfahren würden. Bisher haben wir ja ohnehin wenig Informationen über Frau Aigner und ihr Leben und es gibt auch noch keinen Bekannten oder sogar einen nahen Familienangehörigen, den wir zu einem möglichen Motiv für die Tat befragen könnten. Die Beerdigung wäre deshalb eine gute Möglichkeit, das zu ändern.«
»Ist das nicht sehr kostenintensiv?«, entgegnete Hofbauer, der Davídsson zuvorgekommen war.
»Die Beerdigung müsste vermutlich sowieso die Stadt Augsburg zahlen, denn soweit wir die Finanzlage des Opfers kennen, ist da nichts zu holen. Auf dem Konto bei der Kreissparkasse Augsburg ist gerade genug, um die nächste Miete zu zahlen.«
Landhäuser hatte bisher noch nichts von einem Konto gesagt. Umso erstaunter war Davídsson darüber, dass sie es jetzt tat. Sie hatte sich bei ihren Ermittlungen offenbar in eine ganz andere Richtung bewegt als er.
»Ich glaube, der ganze Quatsch ist gar nicht nötig. Wir haben den Namen eines nahen Verwandten. Der Bruder des Opfers heißt Martin Aigner und wir wissen sogar, wie alt der Junge ungefähr ist. Wenn wir die Datenbanken mit diesen Informationen füttern und mit den Anzeigen in den Straßenbahnen verknüpfen, dürfte es ein Leichtes sein, die Adresse des Bruders und damit vielleicht sogar der Eltern herauszufinden.« Davídsson vermied es, Landhäuser anzusehen. Stattdessen starrte er auf die weiße Tischplatte, auf der jetzt vier leere Kaffeetassen standen.
Er wusste, dass sie den Blickkontakt zu ihm suchte. Er hatte gesehen, wie sie für den Bruchteil einer Sekunde die Fassung verloren hatte, während er geredet hatte.
»Ich denke darüber nach«, sagte Hofbauer, der die Reaktionen beobachtet hatte. Es war offensichtlich, dass er das Verhalten der beiden Kriminalanalysten für unprofessionell hielt.
»Ich begreife nicht, wie man so ignorant und zugleich noch so arrogant sein kann.« Lilian Landhäuser war außer sich. Sie hatten das Gebäude noch nicht verlassen und sie hatte sich schon in Rage geredet.
»Ich halte den hohen Aufwand, den wir mit dieser Beerdigung betreiben müssten, für völlig sinnlos.« Davídsson rechtfertigte seine Meinung, obwohl er keine Lust auf diese Diskussion hatte. Ihm war die Sache unangenehm. Er bereute nur, dass er ihre Idee als ›Quatsch‹
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