Herbstwald
fragte er schließlich.
»Ja, ich verwalte hier insgesamt 4.221 Hektar Wald, aber nur 3.176 Hektar gehören zum Stiftungskapital. Der Rest sind Fremdwälder. Die meiste Fläche liegt hier im Naturpark Augsburg Westliche Wälder. Sie sind vermutlich gerade durchgefahren.«
Er lachte, als hätte er einen Scherz gemacht, den Davídsson aber nicht mitbekommen hatte.
»1660 waren es nur 1.450 Hektar, die anderen Flächen haben wir im Laufe der Zeit dazugekauft. Und dann haben wir noch acht Teiche verpachtet, aber das bringt uns auch nur zehn Cent je Quadratmeter. Außerdem jagen wir auf der gesamten Fläche, was uns zusätzlich ein bisschen Geld einbringt.«
»Aber die Fuggerei leidet trotzdem unter Geldproblemen?«
»Der Unterhalt der Fuggerei kostet jährlich mehr als eine halbe Million Euro und es wird immer schwerer, das Geld mit der Waldbewirtschaftung reinzuholen. Wir haben hier fast siebzig Prozent Fichtenbestände und zum Beispiel nur vier Prozent Tannen, die wir auf dem Weihnachtsmarkt in der Fuggerei verkaufen können.«
Er stellte den Teller mit den Apfelschalen wieder auf den alten Platz.
»1990 und 1999 mussten wir zwei schwere Stürme verkraften, und dann gibt es noch den täglichen Kampf gegen die Borkenkäfer. Im Sommer kämpfen wir zusätzlich gegen die Trockenheit und im Winter gegen Spätfrost, der unseren Jungkulturen ordentlich zusetzt.«
»Und der Holzpreis?«
Helmut Rieger lachte. »Der ist im Keller und schon lange nicht mehr so stabil, wie er es vor hundert Jahren einmal war.«
»Ich verstehe.«
»Wir versuchen die Betriebskosten so gering wie möglich zu halten. Ich habe hier nur zwei Halbtagskräfte und einen Amtsförster. Draußen erledigen die Waldarbeit ein Fortwirtschaftsmeister, drei Forstwirte, zwei Waldarbeiter und zwei Auszubildende. Das macht unterm Strich ohne die Auszubildenden eine Leistung von tausend Hektar für zwei Arbeitskräfte. Das ist nicht besonders viel.«
»Tausend Hektar«, wiederholte Davídsson, der sich unter dieser Zahl nichts vorstellen konnte.
»Ein Hektar sind 10.000 Quadratmeter oder etwas mehr als ein normales Fußballfeld.«
»Tausend Fußballfelder für zwei Angestellte.«
»Ja.«
Davídsson steckte die Visitenkarte des Forstdirektors in den Mantel und ertastete dabei die Umrisse der Fotos, die er am Morgen wieder in die Innentasche gesteckt hatte. Er zog die drei Abzüge hervor und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Die Gesichter lagen für ihn auf dem Kopf, aber er musste sie auch nicht mehr sehen, um zu erkennen, welches Gesicht auf welchem Foto war.
Rieger suchte seine Lesebrille unter einem Stapel loser Papiere und tauschte sie schließlich gegen die randlose Brille, die er die ganze Zeit auf der Nase getragen hatte, um sich die Bilder anzusehen.
»Das hier könnte die Freundin von unserem Auszubildenden Rico sein.« Er deutete auf das Bild, das Catharina Aigner zeigte. »Ich habe sie hier ein paarmal gesehen. Da sah sie aber nicht so … schlimm aus wie auf dem Foto.«
»Und der Junge?«
»Den kenne ich nicht, aber ich habe auch ein schlechtes Gedächtnis für so was.« Er tauschte die Brillen wieder. »Die Frau kenne ich auch nicht.«
»Ja.« Davídsson steckte die Bilder wieder ein.
An der Tür klopfte es.
Helmut Rieger nickte mit dem Kopf, als könnte man draußen vor der schweren Holztür sehen, dass er stumm zugestimmt hatte und die Tür nun geöffnet werden durfte. Offenbar kannten seine Mitarbeiter diese Prozedur bereits, denn wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür und ein junger Mann betrat den Raum.
Davídsson schätzte, dass er etwa im gleichen Alter wie Catharina Aigner war. Der Junge hatte einen orientalischen Teint, der durch ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift ›Walk on water‹ hindurchschien. Die goldbraune Hautfarbe passte zu den dunklen Haaren, die an den Seiten kürzer geschnitten waren. Ein angedeuteter Irokesenschnitt. Davídsson kannte den Nachnamen des Jungen noch immer nicht.
»Heißt der Song nicht ›Walk on the water‹?«
Der junge Mann lächelte und zeigte dabei schneeweiße Zähne, in die sich Catharina Aigner möglicherweise verliebt hatte.
»Kommt ganz darauf an, was man sagen möchte. Das hier ist der Filmtitel eines israelischen Films von Eytan Fox aus dem Jahre 2004. Ich habe die Premiere auf den Internationalen Filmfestspielen in Berlin gesehen.«
»Aha. Mein Name ist Ólafur Davídsson. Ich arbeite für das Bundeskriminalamt in Berlin.«
»Ich heiße eigentlich Ricardo
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