Herbstwald
befreundet. Jedenfalls kannten sie sich von der Uni. Tut mir leid, dass mir das eben nicht eingefallen ist. Das könnte tatsächlich der fehlende Kontakt sein.«
Sie schwiegen.
»Die Verbindung zwischen Saitô und der gesuchten Person muss ja nicht einmal absichtlich hergestellt worden sein. Vielleicht hatte Lea Schirmer-Lunz den Namen ihrer Freundin einmal beiläufig in der Gegenwart von Saitô fallen lassen und später hat er sich daran wieder erinnert. Im Gefängnis hat man viel Zeit zum Nachdenken, vor allem, wenn man auf Rache sinnt«, sagte Knaf nach einer Weile. Er war jetzt wesentlich entspannter als zu Beginn ihres Gespräches.
»Ja, möglich wär es.« Davídsson musste plötzlich an das Foto denken, das sie aus dem Video in der Straßenbahn gezogen hatten. Ihr Bruder hieß nicht Martin Aigner, sondern Martin Schirmer-Lunz. Ólafur Davídsson nahm sich vor, mit dem bayerischen Innenminister zu sprechen und mit seinem Sohn.
15
J oseph Wagner fuhr Davídsson nicht wie geplant zurück zum Flughafen, sondern zum Campus der Goethe-Universität. Ólafur Davídsson wollte direkt sein Glück versuchen und mit der Professorin für die Kulturgeschichte Japans sprechen, solange er in Frankfurt war.
Die Japanologie war im 7. Stock eines gesichtslosen Kastens direkt an der Bockenheimer Warte untergebracht. Hinter einer Glastür hingen einige Plakate, die für japanische Veranstaltungen in Frankfurt warben. Die meisten lagen in der Vergangenheit, aber sie stimmten die Besucher des Lehrstuhls auf das Studienfach ein und waren vermutlich deshalb hängen geblieben.
Der Kriminalanalytiker hatte eine wissenschaftliche Hilfskraft gebeten, bei der Professorin nachzufragen, ob sie für ihn einen Moment Zeit finden könnte.
Er hatte sich auf ihre Bitte hin kurz auf einen der weißen Metallstühle gesetzt, war aber kurz darauf wieder aufgestanden und lief nun unruhig auf und ab, während Wagner ruhig dasaß und wartete.
Zu viele Gedanken kreisten in Davídssons Kopf. Zur Not würde ihm vielleicht auch das Japanische Institut in Frankfurt weiterhelfen können, wenn er sich auf die Redakteurin der japanischen Rundfunkgesellschaft berufen würde, aber die Professorin hatte möglicherweise eine persönliche Verbindung zu Lea Schirmer-Lunz.
Der ganze Fall erschien plötzlich in einem anderen Licht.
Die japanische Mafia und die Tochter des bayerischen Innenministers – daran hatte er nicht gedacht, als er Wittkampfs Anruf in Südfrankreich entgegengenommen hatte.
Diese Wendung war schwer zu verdauen.
Jetzt wollte er die Zusammenhänge verstehen.
Er war erleichtert, als die Mitarbeiterin die Tür zum Büro der Professorin öffnete und ihn hereinbat. Joseph Wagner blieb auf dem kalten Metallgestell sitzen und bedeutete Davídsson, dass er alleine gehen sollte. Je weniger sich die beiden Fälle kreuzten, desto besser war es – vor allem für den Zeugenschutz.
Die Professorin war eine hagere, groß gewachsene Person, die deutlich jünger zu sein schien als Ólafur Davídsson. Sie lächelte, als er sich ihr gegenübersetzte. Zwischen ihnen bestand direkt eine spürbare Sympathie.
»Meine Kollegin hat mir gesagt, dass Sie sich für meine Arbeit interessieren und dass Sie vom Bundeskriminalamt sind. Mehr weiß ich leider nicht.«
Davídsson lächelte.
»Mehr habe ich ihr auch nicht sagen können. In der Tat arbeite ich gerade an einem Fall, der wohl mit Ihrem Fachgebiet in Verbindung steht. Wie genau, weiß ich leider selbst noch nicht, aber vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen.«
»Wie sind Sie denn ausgerechnet auf mich gekommen?«, fragte sie.
»Ich bin auf Empfehlung von Lea Schirmer-Lunz hier.«
Davídsson musterte ihre Reaktion, als er den Namen nannte. Gleichzeitig war er froh, ihn flüssig über die Lippen bekommen zu haben, ohne ihn irgendwo abzulesen.
»Ihnen sagt der Name überhaupt nichts?«, hakte er nach, nachdem die Professorin keine erkennbare Reaktion zeigte.
»Äh, nein. Leider nicht. Mag sein, dass sie eine von meinen Studentinnen ist, aber ich habe bedauerlicherweise nicht immer alle ihre Namen parat.«
Ólafur Davídsson beschloss, nicht weiter nachzufragen, und erzählte ihr von den kahl geschorenen Haaren und den verschiedenen japanischen Glücksbringern, die sie in der Wohnung des Opfers gefunden hatten, ohne zu erwähnen, dass es sich bei dem Opfer eigentlich um Lea Schirmer-Lunz handelte.
Die Professorin hörte zunächst aufmerksam zu und überlegte dann eine ganze Weile schweigend,
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