Herbstwald
Mord anhand einer Klatschzeitschrift aufgeklärt werden konnte, die scheinbar achtlos in einem Zeitungsständer lag. Die Schriftproben aus einem Kreuzworträtsel hatten schließlich den Täter überführt.
Davídsson öffnete die Vitrine und fuhr ein paarmal mit der Hand über den staubigen Zwischenboden aus Glas. Die Aufnahmen der Spurensicherung waren zu grob, um zu erkennen, ob die Staubschicht auch schon damals vorhanden gewesen war. Aber an zwei Stellen waren noch die schwarzen Pulverreste von genommenen Fingerabdrücken zu erkennen, die jetzt ebenfalls eingestaubt waren.
Der Kriminalanalyst fuhr mit den Fingerspitzen über die Kanten und Ränder in der Innenseite der Vitrine, ohne etwas zu bemerken.
Gerade, als er sich wieder aufrichten wollte, kam ihm eine Idee. Er zog die Vitrine ein Stück von der Wand weg und trat mit dem gesunden Fuß mit voller Wucht auf die Sperrholzplatte ein, die als Rückwand diente. Nach dem zweiten Tritt splitterte das Holz und Davídsson konnte die Rückwand mit der Hand abreißen.
Ólafur Davídsson nahm sich vor, Ricardo Gollas zu bitten, den entstandenen Schaden zu beheben, sobald er mit seinen Untersuchungen fertig war. Er schmunzelte, als er an das Gesicht dachte, das der Meister machen würde, wenn er das Ergebnis dieser Untersuchung sehen würde.
Doch das Foto war offensichtlich nicht hinter die Rückwand gerutscht.
Davídsson kehrte die Überreste der Sperrholzwand mit seinen Christian-Dior-Schuhen zur Seite und wollte sich gerade wieder auf die Couch setzen, als er unter der rechten Sohle die Umrisse eines weißen, rechteckigen Papiers entdeckte.
Als er es aufhob, lächelte ihn eine junge Asiatin an.
Bevor Ólafur Davídsson das Foto genauer betrachten konnte, störte ihn sein Handy. Auf dem Display wurde eine isländische Nummer angezeigt und er entschied sich, das Gespräch dieses Mal nicht anzunehmen. Stattdessen warf er einen flüchtigen Blick auf die Uhr und sah, dass es schon fast zwanzig Uhr war.
Er ging zurück zur Mitte des Raumes, um den schmalen Lichtkegel der altmodischen Lampe über dem Steintisch besser beim Betrachten des Fotos nutzen zu können. Dann fand er es aber unpassend, inmitten der mit Sprühfarbe aufgetragenen Silhouette von Lea Schirmer-Lunz zu stehen, und ging einen Schritt zur Seite auf den grob gewebten Teppich.
Noch bevor er sich dem Foto zuwenden konnte, klingelte das Handy wieder und er verlor die Nerven: »Verdammt nochmal, kann der Ríkislögreglustjóri nicht warten, bis ich ihm meine Entscheidung von mir aus mitteile?«, meldete er sich.
»… lögreglust …?«, fragte der Mann am anderen Ende der Leitung.
Davídsson sah auf das Display und erkannte, dass es Wittkampf war, der anrief.
»Um die Wahrheit zu sagen, ich bin gerade dabei, mir ein Beweisstück näher anzusehen«, sagte Davídsson und bemerkte gleichzeitig, wie abweisend seine Stimme dabei klang. »Ich hätte Sie heute sowieso noch angerufen«, fuhr er deshalb mit milderer Stimme fort.
»Ist denn in Kürze mit einer Verhaftung zu rechnen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Es gibt nämlich vom Bundesinnenministerium keine Genehmigung, den bayerischen Innenminister zu kontaktieren.«
»Ich werde trotzdem mit ihm sprechen müssen.« Er sah auf das Foto, das er immer noch in seiner Hand hielt. Die dunklen Haare auf dem Bild waren offensichtlich von Davídssons Schuhen weggekratzt worden, als er unbemerkt auf dem Bild herumgelaufen war, aber der Teil, der das Gesicht zeigte, war weitgehend unbeschadet geblieben.
»Ich rufe Sie morgen Nachmittag noch einmal an. Jetzt habe ich Sie ja leider nicht erreicht.«
Hans-Jürgen Wittkampf beendete das Gespräch und Davídsson stand mit dem Handy in der Hand da und sah ungläubig auf das Display, das sich langsam wieder abdunkelte. Es war normalerweise nicht Wittkampfs Art, sich über Anweisungen der Hausleitung hinwegzusetzen.
Davídsson war es im Laufe der Zeit gelungen, ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Vorgesetzten aufzubauen. Wittkampf hatte ihm in der Vergangenheit oftmals den Rücken freigehalten und sogar Verantwortung für einen Fehler von Ólafur Davídsson übernommen.
Trotzdem war er nicht der Typ, der sich gegen Anweisungen von oben stellte.
Wenn man Hans-Jürgen Wittkampf sah, nahm man sogar eher das genaue Gegenteil an. Davídssons Vorgesetzter sah aus wie ein typischer Schreibtischbeamter. Seine dünnen dunkelblonden Haare waren sorgsam zu einem Seitenscheitel gekämmt. Er war immer ordentlich rasiert
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