Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
dieses Jahres nämlich war Johannes in Heilbronn zum
Missionsprediger ordiniert worden, kaum einundzwanzig Jahre alt.
Im Geburtsjahr des Dichters feiert Großvater Hesse sein
50. Doktorjubiläum: »Man hat mir Ehre und Liebesbeweise gegeben
ohne Maß. Es kamen die Kameraden aus Dorpat alt und jung mit
Fahnen und Ehrengeschenk. Es waren hundert Personen
versammelt. Nach den An- und Dankreden haben wir gesungen: Nun
danket alle Gott. Es war nichts als Liebe und Freude nach dem
Burschenrezept: Gott lieben macht selig, Weintrinken macht fröhlich,
drum liebe Gott und trinke Wein, dann wirst du fröhlich und selig
sein.«
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Die Magie des Vornamens und des Namens überhaupt ist sehr stark,
ja unumgänglich. Man hat ganze Systeme und Bewegungen darauf
gegründet. In altchristlicher Zeit schloß der Taufname die
Verpflichtung in sich, dem betreffenden Heiligen, dessen Namen
einem erteilt worden war, nachzueifern, ja ganz in seinem Schutz
und Dienste aufzugehen. In pietistischen Kreisen, die das
Urchristentum nahe berühren, spielen zwar nicht die Heiligen im
katholischen Sinne, wohl aber die Großväter eine Rolle, die eigentlich
die der Heiligen noch übertrifft. Es ist hier, wie Pfister in seiner
Zinzendorf-Studie sagt: Gott als himmlischer Vater wohnt noch
immer als Großvater im Altenteil. Der Heiland hat ihm die leibliche
Pflege der Gläubigen übergeben, und um Jesu willen dürfen wir ihn
unseren Vater nennen. Doch ist ein Großvater auch ein rechter
Vater, nur nicht unmittelbar. Für Zinzendorf, den Erneuerer der
Brüdergemeinden, vertritt der Vater stets die Rolle Christi; der
Großvater aber die Rolle Gottvaters selbst. Nun waren aber nicht nur
die beiden Großväter des Dichters, sondern auch seine Eltern
freudige, ja strenge und führende Pietisten, die sich im Eifer für die
Sache des Herrn verzehrten; denen die Pietät schwurähnliche
Verpflichtung war.
Es ist ersichtlich, daß der Gegensatz der beiden eindrucksvollen
Großväter für den Enkel eine ominöse Bedeutung gewinnen konnte.
Dieser Enkel, der als gereifter Mann auf der Magie eines bloßen
Namens (der »schönen Lau«) eine seiner schönsten Erzählungen, die
»Nürnberger Reise«, aufgebaut hat, dieser geheimnisvolle
Wortkünstler, sollte er sich in die Ideen und Beweggründe, in die
Wanderfahrten und Liebhabereien seiner beiden Ahnen nicht aufs
innigste eingeträumt haben?
Wer hätte als Kind nicht an seinem Vornamen gelitten, ihn
hundertmal sich vor- und eingesprochen, Forderungen an ihn
gestellt, ihn mit berühmten Mustern verglichen, ihm zugejubelt oder
ihn ungenügend befunden? Wer hätte als Knabe und Jüngling nicht
hundertmal in sanftem, kühnem, steilem oder lässigem Bogen mit
Schnörkel und seltsam verschlungenem Strich seinen Namen vor
sich hingeschrieben, sich mit ihm gestritten und ausgesöhnt, sich ihn
eingeprägt und mit ihm abgesondert von den Geschwistern, von der
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Familie, als Ich, als Ich selbst, als eigenster Besitzer und
Mitgiftträger für Zeit und Ewigkeit?
Frühere Zeiten pflegten dem heranwachsenden Novizen den
leiblichen Vornamen nebst seinem Ich abzunehmen und ihm dafür
den Namen einer Maske, ein fremdes, höheres, kanonisiertes Ich als
Vorbild einzuokulieren. Wir Heutigen aber: müssen wir uns mit dem
natürlichen Ich nicht abfinden? Ist dieses uns verbleibende leibliche
Ich nicht ein steter Quell der Verfänglichkeit und des Verfangenseins
in den Zufall und in die eigene Natur? Und wenn übermächtige
Gaben der Eltern uns aufsaugen und entselbsten wollen, wenn eine
wohl- oder schlechtbeschaffene Erziehung unseren Eigenwillen
brechen, uns kleinkriegen will –: ist dieser Vorname nicht eine
Zuflucht? Enthält er nicht unser besonderes Recht auf eigenes,
neues, von vorn beginnendes Leben und Wirken?
Unversehens habe ich von den Großvätern erzählt; es ist an der Zeit,
daß ich zu den Eltern übergehe. Ich sagte schon, daß beide nicht
geborene Schwaben waren. An Calw band sie nur ihre Tätigkeit.
Schon der alte Gundert hatte seine Berufung dorthin als ein
Schicksal betrachtet, ängstlich wegen der Nebel des von hohen
Tannenwäldern umgebenen, im Winter nach dem indischen Klima
recht rauhen Städtchens. Die Schwarzwälder Heidelbeeren halfen
ihm dann seine von den Tropen mit nach Haus gebrachte Ruhr
kurieren.
Immerhin war
Gundert ein
echtes Stuttgarter
Schwabenkind, das sich in der Heimat, unter alten Studiengenossen
bald wieder zurechtzufinden
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