Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
Ansichten zu verbreiten. Obwohl er ein guter Redner war, sollte aus einer politischen Karriere zunächst nichts werden. Seine Ambitionen verläpperten zusammen mit dem schlecht organisierten Kapp-Putsch im Frühjahr 1920.
Ohne eine große Sache, für die es sich zu kämpfen lohnte, ohne Kaiser und Reichsarmee, verlor Hermann Göring jeglichen Halt. Doch das Schicksal streckte eine Hand aus, um ihn wieder auf vertrautes Terrain zurückzuführen: in das Cockpit eines Flugzeugs. Der niederländische Flugzeughersteller Anton Herman Gerard »Anthony« Fokker suchte händeringend nach Piloten von Format, die das Beste aus seinen Konstruktionen herausholen und die Kundschaft auf dem wachsenden skandinavischen Markt beeindrucken konnten. Doch schon bald gab Hermann seinen Beraterposten bei Fokker wieder auf und gab sich ganz seiner Leidenschaft hin. Er heuerte vier alte Kameraden aus der Richthofen-Schwadron an und begeisterte ganz Skandinavien mit den todesverachtenden Flugmanövern, für die sie schon im Krieg so berühmt gewesen waren. Endlich wurde er wieder bewundert, und sein Bild war wieder auf den Titelseiten der Zeitungen zu sehen. 39 Görings Stolz war wiederhergestellt.
Bald nahte der skandinavische Winter, und Hermann brauchte ein festes Einkommen. Er heuerte bei der schwedischen Fluglinie Svenska Lufttrafik in Stockholm an und übernahm Charterflüge für die Reichen und Schönen. Eines stürmischen Winterabends musste er in dem Schloss eines seiner Fluggäste, Graf Eric von Rosen, übernachten. Dort, in von Rosens mittelalterlichem Anwesen Rockelstad Slott, das Göring an die Burgen seiner Kindheit erinnerte, traf Hermann Göring auf Carin von Kantzow. 40 Obwohl sie längst in festen Händen und die Mutter eines siebenjährigen Sohnes war, war sie ebenso hingerissen wie der Pilot. Im Dezember 1922 ließ sie sich von ihrem ersten Ehemann Nilsvon Kantzow scheiden und machte sich auf den Weg nach Süden, um in München mit ihrem neuen Helden den Bund fürs Leben einzugehen.
Albert, der bereits seit drei Semestern als Assistent am Lehrstuhl von Professor Krell Forschung über Kräne und Aufzüge betrieb, bestand im Jahr 1923 seine Abschlussprüfung in Maschinenbau mit der Note »Sehr gut«. 41 Damit konnte er München, die Brutstätte des Nationalsozialismus, hinter sich lassen, um eine Doktorandenstelle bei der I.G. Farben in Wolfen anzutreten. 42 Es war dasselbe Unternehmen, das später Zyklon B für die Gaskammern der Konzentrationslager herstellen würde. Doch als Albert dort arbeitete, wurden hier noch Teerfarben und Färbeprodukte produziert.
Auf zwei freudige Ereignisse folgte ein tragisches, als die 64-jährige Fanny Göring am 15. Juli 1923 an einer Lungenentzündung starb. Wieder standen die Brüder, älter geworden und durch die Jahre des Krieges verhärmt, nebeneinander am Familiengrab. Doch diesmal fielen sie sich nicht in die Arme. Ihre politische und ideologische Entfremdung hatte begonnen. Albert wusste um die Ansichten seines Bruders, um seine Verbindung zu jenem Österreicher mit dem schmalen Schnurrbart und seine Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Partei. Einige Jahre später, in Österreich, sagte er zu seinem Freund Albert Benbassat: »Ach, ich habe in Deutschland einen Bruder, der sich mit diesem Mistkerl Hitler eingelassen hat, und mit dem wird es noch böse enden, wenn er so weitermacht.« 43 Dieser Konflikt sorgte in den folgenden zwölf Jahren für Funkstille zwischen den beiden Brüdern. Hermann Göring erklärte dazu: »Wegen seiner Einstellung zur Partei haben wir zwölf Jahre lang kein Wort gewechselt. Keiner war böse auf den anderen. Es war eine situationsbedingte Trennung.« 44
Nicht lange darauf folgte nach nur zwei Jahren Ehe die Scheidung Alberts von Maria von Ammon. Hinter dieserfrühzeitigen Trennung steckte eine weitere Dame mit einem »von« im Namen, die jedoch, ganz anders als die junge Maria, mit ihren siebenunddreißig Lenzen neun Jahre älter war als Albert Göring. Gleich nach der Scheidung, am 10. September 1923, gab er Erna von Miltner das Jawort. So schnell, wie die Heirat auf die Scheidung folgte, darf man wohl davon ausgehen, dass die Beziehung zu Erna begann, bevor die Ehe mit Maria beendet war. Und das war nur der Anfang von Alberts zahlreichen, zuweilen skandalösen Frauengeschichten.
Hermann Göring schwor unterdessen in einer Münchner Bierhalle Hitler und dem Nationalsozialismus ewige Treue. Jetzt, da er mit seiner Braut in München lebte,
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