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Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Titel: Hermanns Bruder - wer war Albert Göring? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Wer sind Sie denn eigentlich? Und was wollen Sie von ihm?«
    »Ich habe mich gestern mit Jacques für heute um elf zum Interview verabredet. Ich glaube, Sie und ich haben telefoniert.«
    »Nein, davon hat er mir nichts gesagt.«
    »Okay, und wissen Sie vielleicht, wann er zurück sein wird?«
    »Keine Ahnung«, sagt sie. Es folgt ein betretenes Schweigen, bis ich sie frage, ob ich ihn auf seinem Handy anrufen dürfte, und sie mich hereinbittet.
    Ich folge ihr durch einen dämmrigen Flur in die Küche und stolpere unterwegs fast über einen merkwürdig niedrig eingebauten Treppenlift. Es riecht wie im Haus meiner Großeltern. Die Küche sieht wie ein weiß gekacheltes Aquarium aus – Schwärme tropischer Fische schwimmen die Wände entlang und blicken respektvoll auf ein amerikanisches Propagandaposter aus dem Zweiten Weltkrieg, auf dem eine Frau den Ärmel ihres Overalls aufkrempelt und ihren riesigen Bizeps präsentiert. Darüber steht in großen Lettern »We can do it!«. Doris geht zu dem museumsreifen Telefon neben dem ebenso antiken Kühlschrank und fragt, welche Nummer ich anrufen möchte. »Jacques’ Handynummer«, sage ich, in dem Glauben, sie hätte mich an der Tür nicht richtig verstanden. Doris sieht mich merkwürdigan und kichert: »So ein Unsinn, Jacques hat doch kein Handy!« Wieder fixiert sie mich mit diesem rätselhaften Blick, bis mir klar wird, dass er pure Verständnislosigkeit ausdrückt. Diese Frau ist nicht einfach nur vergesslich, sie leidet offensichtlich an Alzheimer.
     
    Endlich kommt Jacques mit Hilfe eines Krückstocks hereingehumpelt. Es ist nicht viel, was die Gehhilfe zu tragen hat. Der Mann hat kein Gramm Fett und kaum Muskeln am Leib, die Haut scheint ihm zu groß geworden zu sein. Die wenigen Kopf- und Barthaare, die ihm geblieben sind, sehen aus, als könnten sie sich nicht mehr lange halten. In sein Gesicht haben sich die Furchen eines Lebens eingegraben, in dem er zwei Mal außer Landes fliehen, einen Weltkrieg überstehen und zwei brutalen Regimen entkommen musste. Er hat all das lange genug überlebt, um über die Grausamkeiten, die seine Familie und sein Volk erdulden mussten, Zeugnis abzulegen. Alles, was Menschen einander antun können, hat er durchgemacht, doch nun schickt sich die Natur an, das Werk zu vollenden – er leidet an Lungenkrebs. Benbassat hat nie viel geraucht und war beruflich keinen besonderen Risiken ausgesetzt; sein Leiden ist nur eine weitere unverdiente Strapaze.
    Sehr langsam und behutsam nimmt Jacques mir gegenüber Platz und setzt sich eine dicke Brille auf die abstehenden Ohren. Er entschuldigt sich bei mir, als sei er selbst für seinen Gesundheitszustand verantwortlich zu machen, und ich versuche, das Gespräch in Gang zu bringen. Die Gegend sei so wunderbar grün, sage ich, eine Beobachtung, die Australier regelmäßig in Ländern machen, in denen Regen kein seltener Glücksfall ist. »Deshalb heißt es ja auch Greenville«, witzelt er. Ich fühle mich entsprechend dämlich, bin aber auch positiv überrascht: Trotz seiner lebensbedrohlichen Krankheit ist Benbassat noch immer in der Lage, Witze zu reißen.
    Als er nun beginnt, amüsante Anekdoten aus Albert Görings und seinem eigenen Leben zu erzählen, fallen mir gewisse Ähnlichkeiten zwischen den beiden Persönlichkeiten auf. Wie Albert scheint auch Jacques Benbassat ein liebenswerter Schwerenöter und Tunichtgut zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass Albert Göring ihn durch die prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend begleitet hat. Albert war häufig bei der Familie zu Gast und wurde zu einer Art Onkel für den kleinen Jacques. Auch nach dem Krieg fuhr er mit den Benbassats in den Skiurlaub in die österreichischen Alpen, als Jacques bereits als Rekrut der US-Armee in Deutschland Dienst tat, und versorgte den Jüngeren mit schlüpfrigen Anekdoten und rabenschwarzen Scherzen. »Einmal saßen wir so beieinander und plauderten über dies und das, und er war ein bisschen bedrückt, weil er keine Arbeit hatte«, erzählt Jacques von einem Gespräch, das die beiden in Bad Gastein hatten. »Und da sagt er zu mir: ›Weißt du, ich habe mir überlegt, alle meine Freunde, denen ich mal geholfen habe, die würden mir doch bestimmt teure Kränze kaufen, wenn ich tot wäre?‹ – ›Wahrscheinlich‹, sage ich. Und er sagt: ›Wäre es nicht viel besser, wenn sie mir das Geld jetzt gleich geben würden?‹«
     
    Albert Göring und Albert Benbassat lernten sich wegen eines Krans kennen: Albert

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