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Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Titel: Hermanns Bruder - wer war Albert Göring? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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facettenreichen Gestalt: Halb heimlicher Held, halb rücksichtsloser Hedonist und Herzensbrecher. An dieser Stelle meiner Nachforschungen bekomme ich zum ersten Mal das Gefühl, nicht einem Stapel alter Fotos und Notizen gegenüberzusitzen, sondern einer Persönlichkeit, nach der ich fast die Hand ausstrecken könnte. In den unheilschwangeren dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts betritt der wahre, erwachsene Albert Göring die Bühne der Geschichte.

5. Ein Junge im Bücherschrank
    Gelächter und Wiener Volksmusik hallen durch eine stille Gasse in Bukarest. Der Duft frisch gebrühten Kaffees und teuren Tabaks durchzieht die sommerliche Nachtluft und quält die von der Rationierung betroffenen Nachbarn. Der Zweite Weltkrieg hat Europa fest im Griff, doch im Hause Benbassat herrscht eine ausgelassene, gesellige Atmosphäre. So ist es immer, wenn der liebste Freund der Familie zu Gast ist. Mit seinen Witzen und Anekdoten über Begegnungen mit der SS, seinen improvisierten Gesangseinlagen oder auch nur mit seinem verschlagenen, ansteckenden Lächeln vertreibt Albert Göring jeden Anflug düsterer Grübelei.
    Von der anderen Straßenseite sind plötzlich die Stimmen zweier singender Männer zu hören. Mit dem Weinglas in der einen, der Zigarette in der anderen Hand betritt einer der berüchtigtsten Bonvivants Europas den Balkon, um der Störung nachzugehen. Er sieht sich zwei reichlich angeheiterten Wehrmachtsoffizieren gegenüber, die auf einem anderen Balkon ihre eigene Interpretation eines Wienerlieds zum Besten geben.
    »Grüß Gott«, ruft Albert hinüber und wird von einem der Offiziere nach seinem Namen gefragt. »Albert Göring«, antwortet er. Die Offiziere erkundigen sich halb im Scherz, ob er mit dem berühmten Hermann Göring verwandt sei. »Ja, das ist mein Bruder«, erklärt Albert gelassen. Die Offiziere werden schlagartig nüchtern und ernst, nehmen Haltung an und brüllen im Chor: »Heil Hitler!« Schließlich haben sie den Bruder des Reichsmarschalls vor sich. Der jedoch hat für den Hitlerkult und die Unterwerfungsrituale des Regimes nicht viel übrig. Er hebt sein Glaszum Gruß. »Leckt mich am Arsch«, sagt er beiläufig und verlässt den Balkon. 48
     
    Ich laufe im prallen Sonnenschein eine breite Straße hinunter. Links und rechts sind in säuberlichen Reihen schwere Pickups und Limousinen abgestellt. Ein Passant tippt sich freundlich an die Mütze und grüßt mich mit »How you doin’?«. Laute Hip-hop-Musik dringt aus einem Siebziger-Jahre-Cadillac, der gemächlich an mir vorüberrollt. Es ist ein brütend heißer Sommernachmittag in Greenville, South Carolina.
    Da ich jede Chance begrüße, ein wenig Lokalgeschichte kennenzulernen, auch wenn sie so dramatisch und sinnlos tragisch verlaufen ist wie hier, folge ich spontan den Hinweisschildern zu einem Sezessionskriegs-Museum. Es gibt Leute, die die Vergangenheit einfach nicht ruhen lassen können. Der angegraute Kurator mit dem Stonewall-Jackson-Rauschebart und der typischen Vietnamveteranen-Kleidung scheint ebenfalls zu dieser Sorte zu gehören. »Viele wissen gar nicht, dass es in der Konföderierten-Armee ein großes Kontingent von Schwarzen gab. Man sagt immer, dass es im Bürgerkrieg um die Abschaffung der Sklaverei ging, dabei haben eine Menge freie Sklaven auf unserer Seite gekämpft«, erklärt er mit einem persönlich verletzten Unterton. Dann beugt er sich mit funkelnden Augen konspirativ zu mir herüber, als könnte ein Spion der Yankees unser Gespräch belauschen, und flüstert: »Hätten Sie gewusst, dass der Norden die Sklaverei erst 1865 abgeschafft hat? Lincolns Erklärung galt nämlich nur für die Rebellenstaaten.« Willkommen in Amerikas tiefstem Süden – weit, weit weg von dem gleichgeschalteten Österreich, Rumänien unter Antonescu und Albert Göring. Doch genau hier lebt ein weiterer wichtiger Zeuge für Albert Görings Geschichte: Jacques Benbassat. Als Angehöriger der Familie, die auf der Liste der Geretteten an vierter Stelle steht, ist ereiner der wenigen, die Albert Göring noch selbst als Freund und Mentor kannten.
     
    »Hello-o«, ruft eine Frau mit nasalem New Yorker Akzent und öffnet die Tür. Das muss Doris sein, Jacques’ Frau, eine Dame in den Vierzigern. Sie ist zierlich, trägt ihr graumeliertes Haar in einer Bobfrisur und mustert mich angestrengt durch ihre dicken Brillengläser.
    »Hi, ist Jacques zu Hause?«, frage ich vom Fuß der Eingangstreppe.
    »Nein, Jacques ist nicht da. Er ist beim Arzt.

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