Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
sondern ein Niemand ohne feste Stellung in der Welt. Er fühlte sich betrogen. Dieses Gefühl prägte seinen gesamten späteren Lebensweg und zog ihn zu dem Mann hin, der alle Antworten auf seine Fragen zu haben schien: Adolf Hitler.
Albert dagegen war sicher erleichtert, dass der Wahnsinn des Krieges vorbei war und er sein ziviles Leben wieder aufnehmen konnte. Für den Einstieg schrieb er sich im Sommer 1919 an der Universität ein, die heute Technische Universität München heißt. Während sein Bruder sich mit den Bolschewiken anlegte und mit den Freikorps einen Putsch vorbereitete, beschäftigte sich Albert acht Semester lang mit Maschinenbau.
Doch selbst der politisch desinteressierte Albert konnte den geistigen Umschwung um sich herum schwerlich übersehen. In seiner Universität war die Polemik gegen die Republik und den Vertrag von Versailles genauso verbreitet wie in den Straßen von Berlin oder Münchens Bierhallen. Heinrich Himmler, Alberts zukünftiger Erzfeind, war zur selben Zeit dort in der Agrarökonomie eingeschrieben und in der Verbindungsszene aktiv, dem damaligen Nährboden der nationalistischen Studentenbewegung. Albert musste also zumindest ahnen, in welche Richtung seine Landsleute, mit seinem Bruder an der Spitze, sich bewegten.
Doch trotz allem beschäftigten ihn diese Themen zunächst nicht übermäßig. Albert investierte den Großteil seiner Zeit und Energie in einen ganz anderen Lebensbereich: die Jagd nach schönen Frauen. Wie sein Vorbild von Epenstein fühlte er sich zunächst zu blaublütigen Damen mit dem adeligen »von« im Namen hingezogen. Am 16. März 1921 heiratete er die 21-jährige Maria von Ammon.
»Er kommt gleich«, quäkt Frau Hohensinns Stimme durch das Türtelefon. Drinnen sieht uns ihr Ehemann aus seiner einprägsamen Brille entgegen und führt uns durch einen Flur, der mit Rodelschlitten, Weihnachtsdekoration und einem großen, beunruhigend realistischen Kruzifix vollgestopft ist. Eine kleine Wendeltreppe führt in die Küche, in der es nach frisch gebackenem Lebkuchen duftet, wie es sich in Deutschland und Österreich zu Weihnachten gehört.Hohensinn schiebt eine riesige Nähmaschine beiseite und bittet uns, am Küchentisch Platz zu nehmen.
Nachdem wir eine Weile über unsere zufällige Begegnung und über unseren erfolglosen Besuch auf der Burg geplaudert haben, erzählt uns Hohensinn ein wenig über von Epenstein. Die Restauration der Burg Mauterndorf, sagt er, habe gar nicht allzu lange gedauert. »Warum?«, fragen wir. »Weil er so viel Geld hatte«, kommt Hohensinn gleich auf den Punkt. Von Epenstein, sagt er, war in Mauterndorf wenig bekannt, weil er den Großteil seiner Zeit in Berlin verbrachte. Doch sein Geld genoss im Ort den allerbesten Ruf und sicherte ihm, wie später Hermann Göring, die Bewunderung der Bevölkerung. Er soll zum Beispiel den Bau der Vorschule von Mauterndorf finanziert haben. Ich spreche ihn auf das Gerücht an, von Epenstein sei Albert Görings leiblicher Vater. »Alles Gerüchte«, antwortet Hohensinn, »die niemand überprüfen kann. Wenn Sie mich fragen, ist das bloß Klatsch.« Als er sich ausmalt, wie alte Damen im Tante-Emma-Laden und auf den Kirchenbänken solchen Dorfklatsch weitertratschen, bricht er in herzhaftes Lachen aus.
Dann kommt das Gespräch auf Hermann, und Hohensinn beschreibt volksfesthafte Szenen mit all dem Pomp und Prunk, der Hermann Göring zeitlebens umgab. Immer wenn Mauterndorfs berühmtester Sohn den Ort beehrte, säumten die Bewohner den Weg seiner Autokolonne, und Kinder warfen Blumen in sein Mercedes-Cabriolet. Bei einem dieser Besuche, erzählt Hohensinn, bekam Hermann mehr als nur Blumensträuße.
So wie auch in England, hatte man in Deutschland mit der sogenannten Kinderlandverschickung begonnen. Besonders von Luftangriffen gefährdete Familien konnten im Rahmen dieses Programms ihre Kinder bei anderen Familien auf dem Land unterbringen. Die Hohensinns hatten ein junges Mädchen aus dem Rheinland bei sich aufgenommen.Dieses Mädchen war, um es vorsichtig auszudrücken, ziemlich eigensinnig. Hohensinn zeigt auf seinen Balkon und erzählt, wie das Mädchen und seine ältere Schwester sich dort versteckten und Wasser – oder was immer ihnen gerade in die Hände fiel – auf ahnungslose Passanten hinunterregnen ließen. Bei einer dieser Gelegenheiten kam Hermann Göring mit seiner Entourage unter dem Balkon vorbei, und die Mädchen nahmen seinen Mercedes mit Wasser unter Beschuss. Hohensinn
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