Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
elektrischen Kräften geschuldet war.
Es war schön. Man konnte es nicht anders sagen. Auch wenn es sein Albtraum war, sein großes Rätsel, sein hartnäckiges Enigma – es war schön.
»Das ist bis jetzt die einzige Struktur, die ich gefunden habe, die alle drei Probleme der Nanotechnik löst«, erklärte er. »Der einzige funktionierende ›Finger‹. Dieses Molekül kann Atome positionieren, ohne anderen Greifarmen in die Quere zu kommen,es kann greifen und loslassen, und es schafft sozusagen als Dreingabe auch einen unglaublichen Massedurchsatz. Man kann es nur mit den uns bekannten Mitteln nicht bauen. Es befinden sich darin eine Menge Atome in Positionen, die sie von sich aus nie einnehmen würden, bilden Winkel, die sie eigentlich gar nicht bilden können …« Er ließ das Gebilde sich drehen, deutete auf den Schirm. »Hier zum Beispiel. Diese Gruppe von Aluminiumatomen – völlig unmöglich so. Oder dieser Bereich da hinten, dieses Geflecht aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Silizium: Geht so nicht. Aber wenn man es weglässt, funktioniert der ›Finger‹ nicht.«
»Das heißt, du musst nach einem ganz anderen Konzept suchen. Oder das, was du dir vorstellst, geht vielleicht überhaupt nicht.«
»Es ist noch viel komplizierter«, gestand Hiroshi. »Der Witz ist, dass man dieses Molekül bauen könnte, wenn man es schon zur Verfügung hätte! Wenn es gelänge, die Atome in diese eigentlich unmöglichen Positionen zu bringen, dann würden sie dort auch bleiben. Schau«, sagte er und startete eine der Animationen, die er erstellt hatte. Eine Konstruktionseinheit tauchte auf dem Schirm auf, das Video lief los. Transporteinheiten brachten Atome heran, die sie natürlich mithilfe von ›Fingern‹ festhielten, gaben sie an die Konstruktionseinheit ab, die sie mit Greifarmen abnahm, deren Spitzen ebenfalls aus ›Fingern‹ bestanden und die die Atome im Assemblierungsbereich an die gewünschten Positionen stellten. Es waren fließende, anmutige Bewegungen, wie das Spiel der Beine eines Tausendfüßlers.
»Das sieht wirklich aus wie dein Komplex damals auf der Insel«, meinte Charlotte nach einer Weile, als man schon erkennen konnte, wie ein Duplikat eines ›Fingers‹ entstand. »Ich hab übrigens den Schal noch, den mir deine Maschine gestrickt hat.«
Hiroshi musste lächeln. Dass ihr das jetzt einfiel!
Als die Animation zu Ende war und der fertige ›Finger‹ deutlich zu sehen war, lehnte sich Charlotte zurück und meinte: »Tja. Da hast du ein Problem.«
Ein Gong ertönte in den Tiefen des Hauses. Hiroshi hob die Schultern. »Wer hat das nicht? Jedenfalls, damit vertreib ich mir die Zeit. Und das eben war das Zeichen, dass das Essen auf dem Tisch steht.«
Am Tisch erzählte ihm Charlotte mehr von der Expedition, an der sie teilnehmen würde. »Ein gewisser Adrian Cazar leitet sie, Klimatologe an der Boston University. Er will eine russische Polarinsel untersuchen, auf der sich der Klimawandel besonders auffallend bemerkbar macht. Man geht davon aus, dass die Insel mindestens die letzten hunderttausend Jahre von Eis bedeckt war. Doch auf Satellitenbildern sieht man, dass es in jüngster Vergangenheit zu zwei Rutschungen gekommen ist; eine vor etwa sieben Jahren und die andere erst vor Kurzem, letzten Oktober. Na ja, jedenfalls er hat mich gebeten, ihn zu begleiten.«
»Und was versprichst du dir davon?«, wunderte sich Hiroshi. »Als Paläoanthropologin?«
Charlotte richtete die Gabel auf ihn. »Gute Frage. Ich bin einmal in einem Reisebericht über Sibirien auf eine beiläufige Notiz gestoßen, wonach man auf sibirischen Polarinseln menschliche Artefakte gefunden habe, die mindestens zehntausend Jahre alt seien. Wie gesagt, nur eine Randnotiz. Ich schätze, der Autor hat das nicht mal merkwürdig gefunden.«
»Aber du schon.«
»Da ist bei mir sozusagen die rote Lampe angegangen. Vor zehntausend Jahren? Da war dieser Planet praktisch menschenleer. Damals war Überleben das Problem, nicht Übervölkerung. Niemand hat an Übergewicht gelitten. Warum um alles in der Welt sollten dann Menschen in einer derart unwirtlichen Gegend gesiedelt haben? Wenn du die freie Auswahl hast, gehst du doch dorthin, wo es sich am besten leben lässt, oder?« Sie bohrte die Gabel wieder in das überbackene Gemüse mit den frischen Kräutern. »Soweit ich das nachprüfen konnte, stimmt es. Und seither beschäftigt mich das Thema.« Sie deutete auf den Teller. »Schmeckt übrigens fantastisch.«
»Werd ich
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